■ Soundcheck: Station 17
Heute: Station 17. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Und ein Zuckerstreuer, in dem sich mit beiläufigem Selbstverständnis Würfelzucker befindet, sagt mehr über die Musik und das Umfeld von Station 17 als die unzähligen Artikel der vergangenen zehn Jahre. Faktische Dysfunktionalität als Prinzip und die Unvereinbarkeit verschiedener Sozialisationen verkehren die Normalität gegen sich selbst – mit dem langfristigen Ziel, sie als Wort und Begrifflichkeit für Mehrheitsverhältnisse abzulösen oder sie zumindest in elefantenbeindicke Gänsefüßchen zu setzen.
Als den Musikern und Pflegern Kai Boysen und Stefan Walter 1988 die Idee eines Bandprojektes mit geistig gehandikapten Menschen kam, mussten sie sich zunächst gegen den eigenen Vorwurf des Voyeurismus verteidigen. Heute sind solche Bemühungen um Öffentlichkeit nicht „normaler“ geworden, das Projekt scheint das einzige seiner Art. Was sich aber änderte, ist die musikalische Identifikation der Band selbst. Nachdem man sich zusehends vom Support öffentlichkeitswirksamer Musiker trennte, gewann Station 17 eine überraschende Eigendynamik. Gerade die letzten beiden Platten, die 1997er Scheibe und die aktuelle Bravo, folgen einem höchst eigenständigen Groove, der sowohl den Status quo elektronischer Musik bezeugt, als auch eingeübte Hör- und Denk-weisen kräftig konterkariert. Echte Kopfnussknacker bilden dabei jeweils den programmatischen Anfang. Wie etwa „1 Fach denken“, ein Pflicht-Track für alle Philosophie-Erstsemestler, oder „Lila Pause“, in dem sich wiederum Birgit Hohnen dem Zeitphänomen widmet (“Zeit kann nicht reden“) und hinter allem die süßeste Versuchung entdeckt.
Ein minimaler Perspektivwechsel reicht da aus, um die Hörer selbst in Schieflage zu bringen. Das für sich ist revolutionär, wenn gleich die Musiker auf aktuellen Fotos vorgeben, das erfolgreiche Leben erfolgreicher Menschen zu führen und dicke Zigarren gerade die angesagten Stationsdrogen sind. Egal. Wenn Coolness die Kenntnis des Uncoolen voraussetzt, so wie Kunst die Selbsterfahrung des Natürlichen, dann sind Station 17 ziemlich coole Künstler. Michael Hess
heute, Fabrik, 21 Uhr
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