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Statik auf lackiertem Rasen

■ Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft verlor in Miami ihr erstes Spiel der Amerikareise gegen die überraschend starken Argentinier mit 1:2

Berlin (taz/dpa) – Kein Mangel an Ausflüchten herrschte bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach der 1:2-Niederlage gegen Argentinien in Miami. „Das war ein Glücksschuß aus 40 Metern. Wenn der Diaz heute Lotto gespielt hätte, hätte er sechs Richtige gehabt“, sagte Berti Vogts zum 1:0 der Argentinier nach fünf Minuten, bei dem Hernan Diaz, der von Andreas Brehme nicht gestört wurde, den ein wenig zu weit vor seinem Tor postierten Interims-Torhüter Andreas Köpke kalt erwischte. Ähnliches hätte Vogts vermutlich auch über Perez gesagt, wenn dessen 25-Meter- Knaller in der 67. Minute ins Tor statt an die Latte geflogen wäre. Dafür sah der Bundestrainer, selbst zur Erheiterung von Jürgen Klinsmann, „viele vergebene Torchancen“. Gemeint war wohl der eher zufällige Lattenschuß von Andreas Brehme (19.), eine dicke Möglichkeit für Ulf Kirsten (27.), nachdem Diaz über den Ball gesäbelt hatte, und ein Querschläger von Andreas Thom in der 80. Minute aus bester Position.

Klinsmann hatte eine andere Entschuldigung parat, woran es gelegen habe, daß das Spiel nicht lief: „Vielleicht am Klima.“ Ulf Kirsten fand das Feld zu klein, Köpke beklagte Kommunikationsprobleme: „Wir haben sicherlich miteinander zu wenig gesprochen.“ Andreas Möller, der in der ersten Halbzeit bester deutscher Spieler war und nach einem Häßler-Freistoß in der 9. Minute den Ausgleich erzielt hatte, machte den Platz in der Orange Bowl von Miami verantwortlich, wo die Football-Markierungen kurzerhand mit grünem Lack überdeckt worden waren: „Wenn der Ball aufgetippt ist, ist er sofort 100 Meter hochgesprungen oder weit weggeflogen.“

Lothar Matthäus, der seine Libero-Rolle erneut äußerst konservativ interpretierte und in der 38. Minute zum ersten Mal über die Mittellinie ging, hatte wiederum beobachtet, daß der Ball sehr flach absprang. Beim Siegtreffer der Argentinier in der 64. Minute habe er dann Abel Balbo, der den Ball hinter seinem Rücken ins Netz köpfte, nachdem Medina Bello locker an Kohler vorbeigelaufen war und geflankt hatte, einfach nicht gesehen: „Sonst wäre das nicht passiert.“ Das Sturmspiel seines Teams weckte dagegen ungute Erinnerungen bei Matthäus: „Als wir unsere Chancen nicht nutzen konnten, habe ich mich manchmal so gefühlt wie beim FC Bayern.“

Während die deutsche Analytik der Niederlage einiges zu wünschen übrigließ, kam der argentinische Traianer Alfio Basile der Wahrheit erheblich näher: „Die Deutschen waren zu statisch. Ich hatte den Eindruck, sie kamen nicht nach Miami, um zu spielen. Wir waren vor allem viel schneller als die Deutschen.“ Sein Team, das sich mit Mühe gegen Australien für die WM qualifiziert hat, bot vor 25.000 Zuschauern auch ohne die sonstigen Leistungsträger Maradona, Redondo und Batistuta vor allem in der Offensive eine starke Leistung, die an die Auftritte beim Südamerika-Cup in Chile vor zwei Jahren erinnerte. Leonardo Rodriguez führte geschickt Regie, Debütant Diaz schoß ein prachtvolles Tor, und auch die Neulinge Medina Bello, der in der 67. Minute nach wunderschöner Kombination knapp am Tor vorbeischoß, und Cagna spielten hervorragend.

Sie setzten die deutsche Abwehr derart unter Druck, daß Matthäus diesmal gute Gründe für seine streng defensive Einstellung anführen kann. Vor allem Kohler und Helmer hatten Probleme, aber auch Brehme und Buchwald kamen nicht wie gewohnt zum Zuge. Auf der rechten Seite enttäuschte Stefan Effenberg, der wie ein Zweitligaspieler agierte, und muß am Samstag in San Francisco gegen die USA seinen Platz wohl an Thomas Strunz abgeben. „Er war ein wenig phlegmatisch“, bewertete Vogts die Leistung des 25jährigen, der vor einem Jahr nach seiner „Arbeitsverweigerung“ beim 1:3 gegen Brasilien aus der Mannschaft verbannt worden war. Daß der Akteur vom Absteiger AC Florenz noch immer nicht die Rolle auf der rechten Seite akzeptiert hat, verdeutlichte sein Partner Thomas Häßler: „Er muß viel in der Defensive tun. Das schmeckt ihm sicherlich nicht.“

Im Angriff darf Stefan Kuntz mal wieder, Brehme wird Ziege weichen müssen, und im Tor ist Bodo Illgner an der Reihe, dessen nervöser Rivale Köpke einen Kopfball von MacAllister reaktionsschnell parierte, aber vor allem bei Rückgaben eine unglückliche Figur machte. Derzeit läuft alles für Oliver Kahn. Matti

Argentinien: Goycochea - Vazquez (87. Borelli) - Diaz, Ruggeri, MacAllister - Perez, Mancuso, Cagna, Rodriguez (88. Monserrat) - Balbo, Medina Bello (90. Ortega)

Zuschauer: 25.000; Tore: 0:1 Diaz (5.), 1:1 Möller (9.), 1:2 Balbo (64.)

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