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■ Stasi: Fall und Aufstieg des Sascha AndersonEin Casus wie Carl Schmitt?

Carl Schmitt, den sie den Kronjuristen des Dritten Reiches nannten, erhielt nach 1945 nie wieder einen Ruf an eine deutsche Universität. Während seine Schüler und Kumpane, teils wohl ausgewiesenere Lumpen, in höchste Ämter aufrückten, blieb der genialste aller NS-Kollaborateure zeitlebens Symbol intellektueller Amoral und somit Persona non grata.

So saß er in Plettenberg und geriet zur Deponie für alle deutsche Schuld. Er stand außerhalb der Gesellschaft und war so Voraussetzung dafür, daß der Rest sich schuld-los fühlen durfte. Weil die Bundesrepublik alle Schuld aus sich ausgeschieden und an dem symbolischen Ort, der „Carl Schmitt“ hieß, deponiert hatte, konnten alle anderen Schuldigen ein neues Leben beginnen. Die Exklusion Schmitts war Voraussetzung des Aufstiegs der Globkes.

Wenngleich das autoritäre SED-Regime mit dem NS-Mordsgesindel nicht vergleichbar ist; wenngleich der Verrat der Intellektuellen nicht auf eine Stufe gestellt werden kann; wenngleich Schmitt nicht zuletzt ob seiner Brillanz „ein Fall für sich“ ist – die Analogie ist auffällig. Die Post-DDR-Gesellschaft scheint sich in Gestalt Sascha Andersons ein ähnliches Symbol zu schaffen. Nur so ist zu erklären, warum die Tatsache, daß Anderson gemeinsam mit ein paar anderen seiner Dichterfreunde eine wenig bedeutende Poesiereihe redigieren soll, dieser Tage für soviel Aufsehen

sorgt.

Anderson war wohl ein kleiner, mieser Denunziant. Zur Metapher erhoben, als „Sascha Arschloch“, geriet er aber zu dem, gleichsam paradigmatischen Denunzianten, dessen symbolische Ausstoßung aus der guten Gesellschaft diese gute Gesellschaft erst konstituiert. Es ist dieser Mechanismus, der die Reintegration der vielen anderen Denunzianten erlaubt.

Dies freilich gilt es ganz kühl zu konstatieren. Denn es ist sehr wahrscheinlich, daß Gesellschaften solcher Mechanismen zum Wohle ihrer sozialen Hygiene bedürfen. Der Aufschrei, der nun durch die Lande hallt, transportiert – entrümpelt man ihn der Plagiatsvorwürfe durch die Herausgeber des DDR-„Poesiealbums“ – die Botschaft: Der personifizierte Denunziant darf nie wieder einen Job in seinem Metier bekommen. Dies widerspricht nur scheinbar der Tatsache, daß viele Spitzel längst in vergleichbaren Posten untergekommen sind. So hat der Moralismus, der den Protest gegen Anderson speist, letztlich eine integrierende Wirkung. Deshalb sollten sich gerade die Moralisten Rechenschaft über die Funktion ihrer Moral ablegen. Robert Misik

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