piwik no script img

Start in den EuropawahlkampfPiraten auf dem Weg nach Brüssel

Mehr Inhalte, weniger meckern: Die Piraten küren ihre KandidatInnen zur Europawahl. Ihre Auffassung der EU leiten sie aus dem Netz ab.

Grenzenlos und transparent soll aus Sicht der Piraten künftig auch Europa sein. Bild: dpa

BOCHUM taz | Mit der Forderung nach einer Union jenseits der Nationalstaaten, besserem Datenschutz und der Begrenzung der Macht der Geheimdienste wollen die Piraten im Europawahlkampf punkten. „Grenzenlos“ sei schon das Internet als Kernthema der Partei, betonten fast alle der rund 50 PiratInnen, die beim Bundesparteitag am Wochenende in Bochum für die Europawahlliste kandidierten. Immer wieder gefordert wurden auch eine Demokratisierung der bisher von den nationalen Regierungen dominierten europäischen Institutionen Kommission und Rat sowie mehr Einfluss für das Europaparlament.

In seiner Auftaktrede forderte der im November gewählte Parteichef Thorsten Wirth zudem ein humanes Asylrecht: „Wir wollen Menschen nicht länger vor Lampedusa verrecken lassen“, so der 45-Jährige. Gleichzeitig warnte er seine Parteifreunde vor „Selbstzerfleischung“ – gerade in sozialen Netzwerken wie Twitter müssten Piraten untereinander konstruktiver diskutieren und „weniger meckern“.

Im Bundestagswahlkampf hatte die Partei, die auf dem Höhepunkt des Piraten-Hypes mit zweistelligen Umfragewerten gehandelt wurde, nur noch 2,2 Prozent einfahren können. Zuvor hatte die Partei monatelang über ihren politischen Geschäftsführer Johannes Ponader gestritten, der in die Kritik geraten war, weil er seine politische Arbeit mit dem Bezug von Arbeitslosengeld II finanzierte. Charismatische Gesichter wie Ponaders Vorgängerin Marina Weisband fehlen den Piraten dagegen noch heute.

Parteichef Wirth, der das Bochumer Treffen wegen eines familiären Notfalls bereits am Samstagnachmittag verlassen musste, gab sich trotzdem zuversichtlich, dass seine Piraten die bei der Europawahl im Mai geltende 3-Prozent-Hürde knacken. In den Parlamentsgebäuden in Brüssel und Straßburg wäre die Partei dann mit mindestens zwei Abgeordneten aus Deutschland vertreten. Außerdem hoffe er auf das Bundesverfassungsgericht, sagte Wirth der taz: In Karlsruhe klagen mehrere Kleinparteien gegen die Hürde – die sei verfassungswidrig, weil sie die Stimmen von Millionen WählerInnen für nichtig erkläre. Eine Entscheidung wird noch vor der Wahl erwartet.

Piraten warnen vor digitalem totalitarismus

Inhaltlich dominiert wurde die Versammlung von Warnungen vor einer Allmacht der Geheimdienste. Am deutlichsten äußerte sich dazu Brandenburgs Landesvorsitzende der Piraten, Anke Domscheit-Berg. Deutschland sei „keine lupenreine Demokratie“ mehr, es drohe ein „digitaler Totalitarismus“. Schließlich wisse niemand, wozu heute gesammelte Daten ein einigen Jahren verwendet werden könnten, warnte die in der DDR geborene 45-Jährige.

Gleichzeitig warb die talkshowerfahrene Domscheit-Berg, die ihre Bereitschaft zur Kandidatur erst am Freitag erklärt hatte, auch für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens. Für einen Spitzenplatz reichte es trotzdem nicht ganz: Zwar schaffte Domscheit-Berg zusammen mit elf weiteren PiratInnen, darunter drei weitere Frauen, den Sprung auf die Europawahlliste. Allerdings muss sie sich mit Listenplatz drei zufrieden geben – als Spitzenkandidaten treten dagegen die Vorsitzende der Jugendorganisation der europäischen Piratenparteien, Julia Reda, und der Kölner Politikwissenschaftler Fotios Amanatides an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • PS
    Peter Strunz

    Was an einem Parteitag ohne Delegierte, bei dem die sogenannten Zeitreichen, also Menschen, die sowohl mit Geld für Fahrt und Übernachtungen als auch mit Zeit ausreichend ausgestattet sind, teilnehmen können, andere aber nicht, demokratischer sein soll als ein Delegiertenparteitag, erschließt sich mir nicht.

     

    Kleinste Minderheiten, von 30.000 Mitgliedern gerade mal 2,3%, bestimmten also bei den Piraten in Bochum auf dem Bundesparteitag die europapolitische Richtung und wählten Kandidaten auf Bundeslisten für das Europäische Parlament.

     

    Das wäre ja alles vertretbar, wenn die Piraten es hinbekommen würden, ergänzend über das Netz für breitere Teilhabe an solchen Prozessen zu sorgen. Aber dort setzen sie ein Meinungsbildungstool ein, das beliebige Delegationsanhäufungen erlaubt, sogenannte Kettendelegationen, wo dann im Extremfall 2 oder 3 "Superdelegierte" Abstimmungsprozesse entscheiden können.

     

    Das alles ist zunehmend weiter entfernt vom selbst gesteckten Anspruch der basisdemokratischen Mitmachpartei, so dass die von den Piraten öffentlich kritisierten Hinterzimmerpolitiken inzwischen zum piratigen Parteialltag wie selbstverständlich dazugehören, obwohl man genau solche Strukturen eigentlich bekämpfen und selbst vermeiden wollte.

     

    Sämtliche Vorstöße in der Partei, Dinge wie Online-Parteitage oder ähnliches zu etablieren, bei denen jeder mitmachen kann und die Macht von Delegierten angemessen begrenzt ist, sind bisher gescheitert, und zwar daran, dass es inzwischen informelle Machtstrukturen in der Partei gibt, die etwas zu verlieren haben. Mit anderen Worten: es gibt Verkrustungstendenzen auch bei der Machtverteilung in der Piratenpartei.

  • Direkt mal ein fairer, nicht diffamierender Artikel über die Piraten. Ansonsten kann man nur jedem empfehlen sich direkt zu informieren, indem man sich die Live-Streams von den Parteitagen oder die Diskussionen auf der Piratenwebsite anschaut.

    Zu diesem Taz-Artikel könnte man noch fragen, warum die überaus kompetente und redegewandte Anke Domscheit-Berg

    weniger "charismatisch" sein soll als die zwar sehr sympathische, aber oft doch recht nebulös formulierende Marina Weisband?

  • B2
    Bürger 2.0

    Ich glaube in keiner anderen Partei kommen so viele Strömungen von Meinungen und Ansichten zusammen wie bei den Piraten. Da das meiste öffentlich kommuniziert wird, kommt der Eindruck zu stande das es ein chaotischer Haufen sei ohne Disziplin. Meinungsverschiedenheiten werden öffentlich auf sozialen Netzwerken ausgetragen und all das ist neu für den Wähler. Man ist gewohnt das sich Parteien nach außen geschlossen geben.

     

    Bei anderen Parteien sieht man nicht wie die Willensbildung in der Partei entsteht. Es gibt zwar große Delegierten Parteitage, aber ob ein Delegierter wirklich nur für sich oder die Meinung seinem Kreisverband dort vertritt ist nicht ersichtlich. Auch ist nicht ersichtlich wie sich Listen in anderen Parteien bilden. Kann wirklich jedes Mitglied der anderen Parteien sich z.B. auf den Vorstandsposten bewerben oder sich für Listen aufstellen lassen?

     

    Ich glaube fast, die Piraten sind das Spiegelbild unserer politischen Gesellschaft. Grabenkämpfe, Missgunst und Neid gibts in anderen Parteien auch. Nur sieht das der Wähler nicht so offen, weil es nicht öffentlich ausgetragen wird.

     

    Bei dieser Basisdemokratie wie es sich die Piraten wünschen und auch praktizieren kann es aber diese Geschlossenheit nach außen nicht geben. Das stünde der Transparenz im Wege welches auch ein wichtiges Thema der Piraten ist.

     

    Ich würde mir wünschen wenn der Wähler diese Unterschiede zwischen Piraten und den etablierten Parteien erkennen würde. Von der Presse würde ich mir wünschen, das sie das System wie die Piraten ihre Willensbildung durchführen den Menschen verständlich machen. Denn im Grunde gehts bei den Piraten nicht anders zu als bei jeder größeren Vereinssitzung in diesem Lande wenn unterschiedliche Positionen zur Debatte stehen. Da wird auch mit allen Mitteln gekämpft und versucht den jeweiligen Meinungsgegner ins schlechte Licht zu rücken.

  • B
    bg2509

    Ähm..50 Piraten auf dem BPT?. Sorry aber für so einen Mist zahle ich nicht, definitiv nicht. Däd mer leed

  • G
    Gernial

    Nicht "rund 50", sondern 62 Kandidaten hatten je zehn Minuten Zeit, sich vorzustellen. Mit hoher Disziplin hörte man sich diese Vorstellungen an, bevor es am späten Samstagabend zu den ersten Kandidaten-Befragungen kam, die gegen 21 Uhr auf Sonntag 9 Uhr vertagt wurden. Welche Partei hat jemals so viele Kandidaten in solchem Zeitumfang zu Wort kommen lassen und derart basisdemokratisch - ohne Delegiertensystem - über eine Listenaufstellung befunden?

     

    Alle Interessierten können jenseits von medialem Hoch- und Runterhypen direkt per Live-Stream (mit Gebärdensprachdolmetschern) das Geschehen im O-Ton verfolgen, auf den Piraten-Wiki-Seiten die Ergebnisse umgehend einsehen und (Teilnehmer-)Kommentare in Echtzeit via Twitter verfolgen (unter #bpt141). Welche Partei sonst hat solche medialen Strukturen, damit möglichst viele Interessierte ihre Aktivitäten transparent verfolgen können?

    Und welche Partei existiert nach nur wenigen Jahren in bereits über 70 Ländern und hat sich für Europa mit einem einzigen gemeinsamen Programm als eine Partei (EPP) formiert?

    Richtig, außer den Piraten keine. Die Altparteien verharren in GroKo-Muff und Rechts-Links-Lagerdenken 1.0. Mit sprudelnden Ideen, neuen Methoden und argumentationsgeleiteter Sachlichkeit und Beharrlichkeit werden die Piraten, trotz gelegentlicher Rückschläge, weiter die Altparteien vor sich her treiben. Bis auch sie irgendwann im neuen Zeitalter angekommen sind oder das Schicksal der Dinosaurier teilen werden ;-)

    • @Gernial:

      Vieles ist zutreffend und immer noch gut an der Piratenpartei. Aber dass jetzt nur noch rund 700 von den etwa 12.000 zahlenden Parteimitgliedern die Entscheidungen treffen und diese Nicht-Delegierten natürlich überhaupt keine demokratische Legitimation haben - es ist letztlich eine Auswahl der Starken was finanzielle und Zeitressourcen und gesundheitliche Konstitution angeht - ist gerade einer der großen Minuspunkte bei den PIRATEN. Denn mit Demokratie hat das wenig zu tun und die Erneuerung derselben ist ja das eigentliche Kernthema der Partei. Siehe auch meine Kommentare auf http://taz.de/Der-sonntaz-Streit/!130136/

    • S
      Shaniana
      @Gernial:

      Genau das ist das Problem: Sie feiern dieses Stream-Schauen als Transparenz, aber ich habe eben nicht zehn Stunden, sondern zehn Minuten, mich zu informieren heute. Darum brauche ich die taz, die das zusammenfasst.

  • G2
    Grüne 2.0

    Seit die Piraten zu einer Art gealterten grünen Jugend mutierten bekommen sie gute Presse. Nur keine Stimmen.

  • M
    Mirko

    Ich habe aus Neugier den Stream des Parteitags im Netz verfolgt und staune schon über das hohe Niveau, auf dem da teilweise diskutiert wird. Dies ist positiv gemeint. Beleidigungen sind auch mal gefallen, aber das war eher wenig und wurde ermahnt.

     

    Auch teile ich nicht alles was die Piraten vertreten und was so gesagt wurde, aber der Stream vermittelte doch das Bild einer wählbareren basisdemokratischen Partei als es sonst oft herüberkommt.