: Stars wider Willen
■ Unbemerkt und entspannt überleben Pearl Jam das Ende des Grunge
Merkwürdige Dinge geschehen: Pearl Jam sind auf Europa-Tour. Und es scheint ihnen Spaß zu machen. Mit seltener Spielfreude haben sie ihre ersten Auftritte auf dem europäischen Kontinent absolviert. Was ist passiert bei den Helden des Seattle-Grunge, die sich so beharrlich als Verweigerer von Kommerz und Lebensfreude stilisierten?
Arg lustlos wirkten die wenigen Lebenszeichen von der Ostküste in den letzten Jahren . Die Nachwehen des frühen Hype? Jedenfalls machte Pearl Jam 1991 Gigant Ten mit Nirvana zur Doppelspitze des Grunge. Und motivierte eine ganze Generation, Karohemden und DocMartens zu tragen. Der nie gewollte Erfolg verschwand so plötzlich wie sich der Garagen-Rock selbst verabschiedete: Mit einer Ladung Schrot in den Kopf. Pearl Jam zogen sich zurück. Scheu mieden sie das Musik-Business mit seinen Ritualen. Keine Videos, kaum Interviews, spärliche Auftritte. Bis irgendwann nicht mehr ganz klar war, wer an wem das Interesse verloren hatte. Nicht gerade rosig waren die Verkäufe von No Code oder Yield. Ironischerweise bescherte ihnen ausgerechnet eine unkommerzielle Aktion den größten Charts-Erfolg: Die Frank Wilson & The Cavaliers-Nummer „Last Kiss“, verschickt ausschließlich an treue Fanclub-Mitglieder zu Weihnachten, geriet in die Hände der Radiostationen. Und fand sich schnell auf Platz zwei der US-Single-Charts wieder.
Wurden sie also wachgeküsst? Es scheint so, denn seit ihr sechstes Album Binaural präsentiert sich eine vor Selbstvertrauen strotzende Band, die fast unbemerkt den Niedergang des Grunge unbeschadet überstand. Und jetzt als Phoenix aus der eigenen Asche steigt. Ungeniert klammern sie ihre musikalische Vergangenheit aus. Auf Binaural wird sie erschlagen vom Post-Punk der ersten drei Songs. Dann das Aufatmen mit „Light Years“, der neuen Single. Zielsicher nimmt das Album jetzt seinen Verlauf, mal neo-psychedelisch oder auch folkig. Und findet genau in dieser Ignoranz des 90er-Jahre-Grunge die Qualitäten der Band von einst wieder. Die Songs haben wieder Spannung und Druck. Zerbrechlich sind die Melodien, wenn Vedder zur Ukulele bei „Soon Forget“ den schrecklichen Materialismus beklagt.
Um daraufhin die Arenen auszuverkaufen. Hart für Sammler, härter für Bootleg-Verkäufer: Alle 28 Konzerte auf europäischem Boden werden mitgeschnitten und in voller Länge als Live-Doppel-Album via Internet erhältlich sein. Eigentlich geschickt gemacht: Gute Laune angetäuscht und mit breitem Grinsen dem Schweine-System eins ausgewischt. Volker Peschel
mit Dismemberment Plan: Mo, 26. Juni, Alsterdorfer Sporthalle
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