: Starmutationen
■ HSV-Stars nicht wiederzukennen bei der 2:4-Heimschlappe gegen den 1.FC Köln
Trotzig und sehr, sehr down trabten einige blau-weiß Fans bereits nach einer halben Stunde aus dem Stadion zum U-Bahn Kiosk Stellingen. Zielrichtung: Bier. „Braucht Ihr Euch garnich' angucken das Scheißspiel. Köln führt schon 3:0“, orientierten sie Zuspätgekomme noch pflichtschuldigst und entschwanden mit unauffällig in der rechten Hand zusammengeknüllten HSV-Schals, um Trauerarbeit zu leisten.
In der Tat, die Spieler des HSV, allen voran ein unsäglicher Markus Babbel, hatten am Sonnabend nachmittag kein Mitleid mit zartbesaiteter Anhängerschaft. Die Rheinländer Patrick Weiser, Andrzej Rudy und der entzückende Toni Polster (9., 15., 30. Minute) schoben das Leder fast ungehindert von der „unerwartet schwachen Abwehr“ (O-Ton Benno Möhlmann) der Hansaten vorbei am indisponierten Richard Golz.
Sein Idol gegenüber hingegen agierte, wie es sich für einen Star gehört: ziemlich makellos. Neben dem inspiriert aufspielenden Kölner Trio Rico Steinmann, Horst Heldt und Toni Polster schienen vorallem Bodo Illgners Paraden das in steilem Höhenflug befindliche Ego der Fab-Four vom Volkspark zu zermürben. In einer Zeit, in der der 150er Bus von Altona nach Finkenwerder rollt, mutierte Thomas vor 30.800 Schauunlustigen wieder zum auf-den Prinzessinnenkuß-wartenden-Frosch von Heesen, Karsten zur zwanzig-Minuten-Spaghetti Bäron, Yordan zum doppelten-Linksfuß Letchkov und Valdas zum bellenden-Blindfisch Ivanauskas.
Der mit 1600 Getreuen üppig besetzte Fanblock der Geißböcke färbte sich vor Freude und durch in die untergehende Sonne gehaltene Schals lippenrot.
Erst nach der Pause, als Kölns traditionell schlechtere Hälfte anbrach, besann sich die Möhlmann Equipe wieder auf ihre zahlreichen Qualitäten. Ein aufgrund seiner Härte von Illgners Körper auf Karsten Bärons Fuß prallender Torschuß von Valdas Ivanauskas in der 58. Minute blieb das, was er war. Die Gegner erhöhten im Gegenzug drei Minuten später auf 0:4 - wieder Toni Polster. Dieses Ergebnis trieb die oberflächlichen unter den Fans scharenweise aus der Beton- in die heimwärts rollenden Blechschüsseln. Die Jetzt-erst-recht-Fraktion jedoch blieb. Ihre Einstellung schwappte über die Zäune auf den Rasen und inspirierte zwei in ihrer Nutzlosigkeit außerordentlichen Tore. Michael Spies, 17 Minuten zuvor für den erregten Ivanauskas eingewechselt, traf acht, der zu spät al dente aufspielende Karsten Bäron sechs Minuten vor Schluß. Die verbliebenen Fans bedankten sich ungewohnt euphorisch für die kosmetische Ergebniskorrektur. Benno Möhlmann blieb - im speziellen wie im allgemeinen - mit beiden Füßen auf der Erde. Geforderte Spekulationen über eventuelle moralische Auswirkungen der desolaten Vorstellung auf die Seelen seiner Schützlinge wies er als zu kompliziert von sich: „Ich glaube, Fußball ist auch manchmal ganz einfach.“
Claudia Thomsen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen