: Starker Mann im Machtvakuum
■ Über Saddam Husseins strategische Optionen
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Während des achtjährigen Krieges zwischen Irak und Iran standen nicht nur die meisten arabischen Länder auf der irakischen Seite, sondern auch der Westen setzte auf einen Sieg Bagdads, obwohl die Irakis als Verbündete der Sowjets galten. Dem christlichen Abendland war das faschistoide Militärregime am Tigris - als laizistisch apostrophiert lieber als die Herrschaft der fundamentalistischen Mullahs in Teheran. Aus allen Zeughäusern der Welt flossen Waffen und Munition nach Mesopotamien: französische Bomber, sowjetische Raketen, argentinische Panzer, englische Geschütze und deutsches Giftgas. Und die arabischen Sultane und Emire sorgten aus eigener Schatulle dafür, daß die irakische Kriegskasse nicht leergeschossen wurde. Allein der Emir von Kuwait gab zirka drei Milliarden Dollar Kriegshilfe, auf daß Saddam Hussein den schiitischen Ketzern Einhalt gebiete.
Aus dem Krieg ging Saddam als Sieger hervor. Als neuer Held von Qadissiah, wo einst die arabischen Stämme das persische Reich in die Knie zwangen, wurde Saddam vom eigenen Volk gefeiert wie kein Herrscher in der neueren Geschichte des Zweistromlandes. Wohlwollend schaute die Welt nach Bagdad. Das vom Krieg zerstörte Land bot nämlich den Industriestaaten ein gewinnträchtiges Betätigungsfeld. Selbst als die unbotmäßigen irakischen Kurden zu Zehntausenden mit Giftgas ausgerottet wurden, störte das niemanden. Auch die übrigen irakischen Barbareien, wie etwa die Hinrichtung eines britisch-iranischen Journalisten Anfang dieses Jahres, nahm man in den europäischen Staaten einfach hin. Daß es den siegestrunkenen General bald nach neuen Schlachtfeldern dürsten würde, dachte freilich niemand. Noch weniger rechnete man damit, daß das neue Opfer der irakischen Aggression ein arabisches, mit dem Westen befreundetes Land sein würde.
Der Ayatollah Chomeini wollte bekanntlich der Führer der Umma, der islamischen Gemeinschaft sein. Saddams Traum ist bescheidener, realistischer - damit aber auch gefährlicher: Er will auf Biegen und Brechen der stärkste Mann der arabischen Welt werden. Hinter ihm steht schließlich eine Militärmacht von einer Million Soldaten stehendes Heer und 850.000 Reservisten, kriegserprobt und mit den besten Waffen der Welt versehen - die stärkste der arabischen Länder. Die Besetzung des reichen Kuwait, das arabische „Filetstück“ am Golf, soll irakische Großmachtansprüche nach außen demonstrieren und innenpolitisch das Regime stabilisieren. Die Eingliederung der entlassenen Soldaten in den Arbeitsprozeß (nach Beendigung des Golfkrieges) hat nämlich in Bagdad neue Probleme geschaffen. Und gleichzeitig geht nun von einem Offizierskorps, das nicht mehr unter dem Loyalitätszwang des Krieges steht, ein machtpolitisches Gefahrenpotential für die Alleinherrschaft Saddam Husseins aus. Im Februar 1989 soll es zu einem Putschversuch aus Kreisen der Luftwaffe gekommen sein. Der Tod des Generals Adnan Kheirallah, beim Absturz eines Hubschraubers im Mai 1989, gab der Unruhe und der Gerüchtebildung im Offizierskorps weitere Nahrung. So soll der Angriff auf das kuwaitische Nachbarland die Armee militärisch beschäftigen und politisch und psychologisch an ihren Führer binden.
Indessen birgt der gewählte Zeitpunkt für die irakische Aggression nicht nur eine gewisse Ironie, er ist auch typisch für die weltpolitische Lage: Als die ersten irakischen Panzer über die kuwaitische Grenze rollten, diskutierten gerade die Außenminister der USA und der Sowjetunion im fernen Sibirien über die weitere Entspannung in der Welt. Der Schulterschluß der beiden Supermächte auf den Ruinen des realexistierenden Sozialismus hat in der übrigen Welt ein Machtvakuum geschaffen, das politische Abenteurer und militärische Hasardeure zwischen Tigris und Trinidad zu gemeingefährlichen Aktionen ermutigt. Damit liefern sie wiederum den westlichen Staaten den Vorwand, das militärische Potential beibehalten zu müssen: Es gäbe zwar keine Gefahr aus dem Osten, wohl aber von der südlichen Hälfte des Globus.
Ahmed Taheri
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