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Starke Stücke

■ Ein Off-Theaterfestival in München

Starke Stücke“, so hieß ein Experimental-, Avantgarde-, Anti -, Off-, Alternativ-, Gegen-Theaterfestival in München, das am Sonntag zu Ende ging. Die Stücke von freien Gruppen aus Berlin und München versuchten, die Grenzen des Theaters zu erforschen. Das experimentelle Theater entwickelt ständig neue Formen, die über kurz oder lang in den etablierten Theatern auftauchen. So sind die Experimente der sechziger und siebziger Jahre heute in jedem Stadttheater zu bewundern. In München wurde durchweg Qualität geboten. Flops gab's nur wenige. Ein wirkliches Highlight allerdings war das einzige Stück, das nicht aus Berlin oder München kam: Suz o Suz der spanischen Theatergruppe „La Fura dels Baus“.

Die Manege eines großen Zirkuszelts. Das Publikum, eingesperrt in der Mitte. Halbnackte Männer rennen durch die Menge. Einer hat eine Motorsäge, ungefährlich, ohne Sägeblatt, sie verbreitet Angst allein durch ihr Geräusch. Die Zuschauer sind verunsichert, manche geben die Aggressionen zurück. Afrikanische Rhythmen live von der Bühne. Dann ein melancholischer Moment: Ein nackter Mann schwimmt, einem Fötus gleich, in einem Aquarium. Wie eine Nabelschnur ein Atemschlauch. Ein zweiter versucht, ihn durch das Glas zu erreichen, mit ihm zu reden, ihm unter Wasser einen Apfel zum Essen zu geben. Und wieder Tempo, Aktion, Lärm: Gladiatorenkämpfe auf großen Wagen mitten zwischen den Zuschauern. Gekämpft wird mit Mehlbomben, Farbe, Eingeweiden.

Das Spektakel von La Fura dels Baus erinnert an mittelalterliche Riten. Die klassischen Elemente Feuer, Luft, Wasser tauchen auf. Männlichkeit wird gefeiert, aber auch seziert, die Machogesten auf das reduziert, was sie sind: einfache, aber wirksame Drohgebärden.

Die Oberfläche des Stücks ist sehenswert. Wirklich beeindruckend aber sind die Gefühle, die geweckt werden. Längst vergessen geglaubte archaische Urängste und ein fast religiöses Empfinden tauchen auf. Und die sind von einer solchen Wucht, daß niemand sich entziehen kann. Musik, Dramaturgie, Artistik, alles wird perfekt dargeboten, das Stück wurde über Jahre entwickelt und verbessert.

Nicht weniger beeindruckend, aber in der Wahl der Mittel völlig entgegengesetzt, war die Aufführung des „Phren Musiktheaters“ München.

Die Gruppe geht der Frage nach, was passiert, wenn dem Theater alles genommen wird, was es üblicherweise interessant macht: klassisches Handwerk bei Schauspielern und Dramaturgie, aufwendige Technik, spektakuläre Effekte oder doch wenigstens eine hübsche Geschichte oder ein interessantes formales Experiment. Nicht einmal das angenehme Gruseln, das sich einstellt, wenn Regeln des Theaters bewußt übertreten werden, wird bemüht. Die Regeln werden einfach nicht beachtet. Der Musik ist jede Ästhetik, auch die freier E- und U-Musik, ausgetrieben. Keine Harmonie, keine Melodie, kein Rhythmus, ganz wenige Strukturen.

Übrig bleiben ein paar eigentlich banale Szenen: Zwei Musiker und eine Musikerin streiten sich mit zwei Anstreicherinnen. Übrig bleibt aber auch das, was Theater eigentlich ausmacht: die Präsenz von Menschen. Ehrlichkeit, Spontanität, auch Alltägliches. Ein hinterhältiger Humor zerlegt das Gehabe, das wir täglich untereinander aufführen.

Ein Festival ist auch dazu da, Vergleiche anzustellen. La Fura dels Baus zieht alle Register, die die Theatermaschinerie zu bieten hat. Phren negiert diese technischen Möglichkeiten des Theaters völlig. Und doch erreichen sie ähnliches: den unterbewußten assoziativen Zugang zu ihrem Publikum. Phren bot auch den Humor und die Selbstironie, die die meisten anderen Stücke des Festivals vermissen ließen.

Daß freies Theater auch konkrete politische Inhalte hat, die im etablierten Theater nicht vorkommen, zeigt R.A.M.M. aus Berlin mit Akte, einem Stück, das in einer abgemagerten Version bereits in Berlin gezeigt wurde. Im Stil anarchisch, in der Ausführung perfektionistisch.

Ein Mensch will ein Brot. Dabei gerät er in die Maschinerie einer irren Verwaltung. Mit viel Tempo und Aktion werden Leben und Leute als Futter für Bürokratie vorgeführt, über Transportrollen gehievt, mit Farbe und Schleifscheiben traktiert und landen zum Schluß vor einem expressionistisch an der Decke aufgehängten Schreibtisch. Grüße an die neunziger Jahre, sehr zu empfehlen für Leute, die am nächsten tag zum Arbeitsamt oder ähnlichem müssen.

Manuel Laval

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