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Archiv-Artikel

Starke Momente

Dunkles Märchen: Judith Weirs Vertonung von „Der blonde Eckbert“ in der Reihe „das neue werk“ des NDR

„Märchendunkel“, so war die letzte Trias von Konzerten der NDR-Reihe „das neue werk“ überschrieben, und zu keinem Stück des kleinen Aufführungszyklusses passte dieser Titel besser als für Judith Weirs Vertonung von Ludwig Tiecks Märchenerzählung „Der blonde Eckbert“.

Die Geschichte um Eckbert und seine Frau Berthe, die bei einem Besuch des gemeinsamen Freundes Walther von ihrer Kindheit erzählt, hat viel Schauderhaft-Dunkles. Das beginnt mit Walthers kryptischen Andeutungen über Berthas Herkunft und geht so weit, dass er im Gespräch einen Hundenamen nennt, den er eigentlich gar nicht kennen kann. Eckbert ahnt Schlimmes und bringt Walther vorsorglich um die Ecke. Gleiches geschieht mit einer weiteren Figur, die Walther ähnelt. Und dann taucht eine Figur auf, die einst von Berthe betrogen wurde und enthüllt ein schreckliches Geheimnis.

Berthes Erzählung klingt, als grabe jemand beim Psychiater in der eigenen Vergangenheit und überschreite dabei die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Eine solche Geschichte, zudem von Tieck in bilderstarke Worte gefasst, schreit geradezu nach einer Vertonung, und es verwundert, dass die musikalischen Romantiker sich dieser Vorlage nicht bereits im 19. Jahrhundert angenommen haben. So aber konnte Judith Weir unbelastet die Vertonung des Stoffs angehen.

In ihrer Tonsprache liegt die schottische Komponistin zwischen Benjamin Britten und Peter Maxwell Davies. Sehr eigenständig klingt Weirs Musik vielleicht nicht, aber in ihrer handwerklich gekonnten Partitur gibt es immer wieder Momente starker Klangsuggestion. Es scheint, als entfalte das in englischer Sprache geschriebene Werk erst in einer szenischen Aufführung seine volle Wirkung – die konzertante Aufführung des NDR konnte das nicht leisten.

Da halfen auch die Einspielungen von Ausschnitten aus Stummfilmen von Fritz Lang und Friedrich Wilhelm Murnau wenig. Die Idee, die musikalischen Zwischenspiele mit Filmcollagen zu begleiten, könnte in einer szenischen Aufführung funktionieren, als Zugabe bei einer konzertanten Darbietung überzeugte das nicht. Was in hohem Maße an der lieblosen Art der Präsentation gelegen haben mag, denn einfach eine viel zu kleine Leinwand rechts hinter das voll beleuchtete Orchester zu platzieren, kann keine große Wirkung haben. Schade, denn die musikalische Einstudierung unter Stefan Asbury hatte Niveau.

Im Gegensatz zur Lesung des gesamten Tieck-Textes vor dem Konzert: Christoph Bantzer gelang das zweifelhafte Kunststück, gleichsam affektiert wie langweilig zu lesen. Dazu gab es noch einfallsloses Klaviergeklimper von Claus Bantzer – das war Grusel zum Einschlafen.

REINALD HANKE