piwik no script img

Berliner SzenenStandesamt Weißensee

Ehe entsorgt

„Ach so.“ Sie überlegt. „Dauert die Ewigkeit denn lange?“

Gestern habe ich wieder eine Handvoll Ehen in der Mülltonne entsorgt. Jetzt, wo der Frühling da ist und es immer wärmer wird, komme ich kaum noch hinterher. Sie sind überall: in Jackentaschen, Hosentaschen, Vesperdosen, Kita-Rucksäcken. Selbst in meinem Portemonnaie habe ich kürzlich die halbkompostierten Überbleibsel einer Eheschließung gefunden. Keine Ahnung, welche meiner beiden Töchter sie da hineingeschmuggelt hat. Rote Blütenblätter, weiße Blütenblätter, kleine Herzen aus goldener Glitzerfolie, eingefärbter Reis, zusammengeschrumpelte Luftballons – man sieht von weitem, ob gerade ein Paar getraut wurde.

Immer, wenn ich mit meinen Kindern auf dem Weg zum Schiffsspielplatz am Standesamt von Weißensee vorbeikomme, glitzert und blinkt es auf dem Bürgersteig wie nachts in Las Vegas. Und statt nach Hundeexkrementen riecht es nach Rosenblättern. Flora und Marie sind jedes Mal aus dem Häuschen und machen sich daran, den ganzen Krempel aufzusammeln.

„Warum gibt es so viel Hochzeiten?“, fragt mich Flora, während sie Glitzerherzen vom Boden aufsammelt.

„Weil die Leute sich für die Ehe entscheiden.“

„Was ist Ehe?“

„Nach der Hochzeit ist es eine Ehe“, sage ich. „Sie wollen Einen Hauch Ewigkeit spüren.“ Sie sieht mich verständnislos an.

„E-H-E“, buchstabiere ich. „Die Anfangsbuchstaben. Ein Hauch Ewigkeit.“

„Ach so.“ Sie überlegt. „Dauert die Ewigkeit denn lange?“„Ungefähr so lang wie unendlich.“

„Hm.“ Sie betrachtet die Herzen, die sie in der Hand hält. „Und glitzert die Ewigkeit?“

„Wenn man Glück hat: ja.“

Marie unterbricht uns: „Ich will jetzt zum Spielplatz auf die Rutsche!“ Dann ziehen wir weiter. Mit einer neuen Ehe im Gepäck. Daniel Klaus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen