■ Standbild: Würde des Trinkers: "Die Todestrinker", Donnerstag, 22.45 Uhr, Hessen 3
„Die Todestrinker“, Donnerstag, 22.45 Uhr, Hessen3
Sein Reich war von dieser Welt. Gemeint ist der kürzlich verstorbene russische Trinkerdichter Wenedikt Jerofejew. „Die Todestrinker“ von Emma Brocklebank ist Hommage, filmisches Essay, Literaturverfilmung und poetische Reflexion in einem. Ein Film, der mit einfachen gestalterischen Mitteln eine der grundlegendsten Beschaffenheiten der menschlichen Natur berührt: „Er trank nicht, um sich zu berauschen. Ohne Alkohol konnte er dieses Leben nicht ertragen“, sagte Jerofejews Psychiater. Der muß es wissen.
Um seine Freunde ein wenig aufzuheitern – aber auch um sie traurig zu machen –, beschrieb der Trinker aus Überzeugung den Alltag der Pendler zwischen Moskau und Petuschki, einer trostlosen Stadt, in der es nur Trinker gibt. Als Dank erhielt er ein Glas pro Seite. Jerofejew schuf eine sprachgewaltige, tragikomische Sozialreportage, gegen die Bukowskis Gekritzel sich wie banaler Säuferkitsch ausnimmt. Nach der Veröffentlichung im russischen Magazin Nüchternheit und Kultur wurde Jerofejew mit „Die Reise nach Petuschkin“ zum Helden der trinkenden Klasse.
Mit des Dichters kommentierendem Text unterlegt (in der deutschen Version mit Voice- und Schluck-Over), gelingt der Regisseurin ein ergreifender, halbdokumentarischer Film, der die Tragik der Gossentrinker offenbart. Hintergrundinformationen über die Fertigung sowie den „ordnungsgemäßen“ Konsum von Wodka wechseln mit Interviews: „Ich fing sofort an, Leibniz zu lesen und zu trinken“, berichtet Jerofejew über seine kurze Moskauer Studienzeit. „Was hat Alkohol mit Leibniz zu tun?“, fragt der Interviewer. „Was haben Sie doch für einen plumpen Verstand“, antwortet der am Kehlkopf operierte Dichter, der nur vermittels eines Stimmvibrators sprechen kann. Aber er schmunzelt. Und trinkt.
Berühmt waren seine Cocktails: Etwa „Tränen des Komsomolzen“, gemixt aus 100 Gramm Wodka, Haarwasser, Möbelpolitur und Eau de Cologne. Ein Sammelsurium haarsträubender Praktiken betäubender Selbstvernichtung. „Die Todestrinker“ ist kein Film für Pragmatiker und Drogenbeauftragte. Das behutsam in ambivalente Bilder übersetzte, keineswegs regional begrenzte Phänomen des metaphysischen Trinkens skelettiert lediglich den Prozeß der Entfremdung in jeder industriellen Gesellschaft. Für die, die erkennen, wird ein Geheimnis gelüftet: Die Würde des Trinkers ist unzerstörbar. Manfred Riepe
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