■ Standbild: Verbal-Sparring
„Night Talk“, Fr., 0.00 Uhr, Premiere (kostenlos)
Kommt ein Mann zum Psychiater: „Herr Doktor, ich habe ein Problem, alle übersehen mich.“ – „Der Nächste bitte.“ Ebenso erging es einem männlichen Anrufer bei der neuen Telefon-Talk- Show „Night Talk“. Von Moderatorin Bettina Rust aufgefordert, gebührenfrei im Studio anzufrufen, meldete sich irgendwann ein Mann, der „seit zwei Jahren keinen Sex mehr hatte“. Tja: „Die Leute sprechen nicht mit dir“, sagt die Moderatorin – und hängte ein.
Der arme Kerl hatte dann wenigstens Zeit, darüber nachzudenken, warum er auf eine telegene Venus-Fliegenfalle hereingefallen ist. Das Ganze ist nämlich nach dem Prinzip des interaktiven Bildschirm-Flirts aufgezogen. Nett sieht sie ja aus, die Moderatorin. Gesetzt den Fall, man würde hier jemanden auf den Bildschirm lassen, der durch Physiognomie und Ausstrahlung signalisiert, daß er nicht einer Gauloises-Light-Werbung entsprungen ist und statt dessen die Anrufer ernst nimmt – niemand hätte zum Hörer gegriffen.
Nur wer „optimistisch, glücklich, gut gelaunt ist“, durfte sich melden. „Für Leute, die gerade von der Brücke springen, bin ich nicht der richtige Gesprächspartner.“
Wer trotz dieser Warnung „echte“ Probleme hat oder es zu kompliziert macht, wird mit einem dummen Spruch abgebügelt. Das ist nicht einmal mehr menschenverachtend, denn wer dort anruft, tut dies ebenso freiwillig wie er zum Beispiel CDU wählt. Was die Sendung unfreiwillig interessant macht, ist, daß wir mit ansehen können, wie die Moderatorin langsam, aber sicher merkt, daß sie hier mit Leuten reden muß, mit denen sie normalerweise nie ein Wort wechseln würde. Sie darf sich das aber nicht anmerken lassen. Was man um so deutlicher bemerkt.
Insofern haben sich schon die Richtigen gefunden; virtueller Verbal-Sparring für diffuse Seelen. Nicht ein halbwegs gescheites Gespräch kam zustande. Gesucht wurde der ideale Small- talk. Da das nicht klappte, beschimpfte die Moderatorin ihre Anrufer: „Er ist ein feiges Schwein“, oder „Warum ist Herta so bescheuert?“ Ein andermal redete sie totales Blech: „Lieber ein Schrecken mit Ende, als ein Ende ohne Schrecken.“ Und als ein engagierter Ossi gar „die herrschende Klasse abschaffen“ wollte, tippte sie auf ihrem Schaltpult herum wie ein Reparaturtechniker beim GAU in Tschernobyl. Fehler im Konzept: Wer dort freiwillig anruft, hat von vornherein nicht alle beieinander. Manfred Riepe
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