■ Standbild: Afstand moet kunnen
„Große Freiheit Amsterdam“, Freitag, 21.15 Uhr, ZDF
Gemessen an der dumpfen Atmosphäre der bedomptheid von Städten wie Moskau oder München, so der niederländische Schriftsteller Harry Mulisch, herrsche in Amsterdam der „Geist von Freiheit, Relativität und Kosmopolitismus“. Wie wahr. Doch die öffentliche Meinung über die holländische Hauptstadt wird oft von der „dunklen“ Seite dieser Freizügigkeit überschattet: Vielen gilt Amsterdam als Metropole der Junkies und der Kriminellen.
„Amsterdam ist zum Klischee geworden“, beklagt Anke Ritter denn auch im ersten Satz ihrer Reportage. Im dokudramatischen Einstieg läßt sie zwei junge Deutsche auf dem Hauptbahnhof eintreffen: Begafft von zernarbten Pennergesichtern treten die beiden in Heroinspritzen, Handtaschendiebe lauern schon auf leichte Beute. Anke Ritter will zeigen, daß es so nicht ist. Hinter den fremden Gesichtern, darauf reduziert sich ihre Botschaft, stecken die Schicksale von Zugewanderten: Jeder fünfte ist farbig, ein Drittel der Amsterdamer sind Ausländer. Diese Stadt erlaubt es allen Minderheiten, sich frei zu entfalten: „Russen, Spinner, Homosexuelle, Asiaten, Touristen“. Zum Beweis läßt die Autorin dreißig Minuten lang eine ganze Polonaise von russischen, schwarzen und schwulen Künstlern durchs Bild marschieren: Eine Frau fährt mit ihrem Huhn zum Tierarzt, ein Straßenkünstler legt sich zur Gaudi der Passanten mit den trams an, Kleinunternehmer schwören dem Profit ab, und Fabiola, die schrille Tunte, spaziert im Stanniolkostüm an den Grachten entlang. Entsprechend fahrig die Bildmontage: Kaum hat der Zuschauer eine Situation erfaßt, wechseln Ort und Personal, im Zeitraffer montieren Polizisten ihre Bremskrallen an falsch geparkte Autos, manche Kamerafahrt durch gediegenes Interieur bleibt völlig unverständlich.
In Amsterdam sei „alles schön chaotisch“, so teilte der Russe Alek zu Beginn mit. Darum muß aber das Chaos nicht gleich zum durchgängigen Stilmittel erhoben werden. Etwas weniger atemlose Subjektivität hätte die Aussicht auf eine Erklärung, warum denn der Multikulturalismus in dieser Stadt zu Hause ist, wenigstens offengelassen. So aber wurden nur neue Klischees an die Stelle der alten gesetzt. Een beetje afstand moet kunnen, würden die Amsterdamer sagen – ein wenig Distanz muß möglich sein. Achim Baum
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen