■ Standbild: Dialektik im Ersten
„Fünf Ringe um Sarajevo“, Donnerstag, 20.15 Uhr, ARD
ARD-Korrespondent Friedhelm Brebeck nutzt den zehnten Jahrestag des Auftakts der Olympischen Winterspiele in Sarajevo zu einer Herleitung der derzeit gängigen Interpretation des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Er holt die dem Thema verbliebenen TV-KonsumentInnen mal wieder genau da ab, wo sie nun mal stehen; an einem Punkt, wo vor lauter Bildern und Berichten vom langsamen Sterben Bosniens die völlige Ratlosigkeit längst eingetreten ist.
Viele schnelle Schnitte zwischen dem für europäische Verhältnisse „ganz normalen“ Leben im Vorkriegs-Jugoslawien des Olympia-Jahres 1984 und dem Elend des Jahres 1994: Während bei anderen Sendern selbst interessierte Bekannte bei Stichwort „Bosnien“ zur Fernbedienung greifen, gelingt es dem grauhaarigen, faltengesichtigen Friedhelm Brebeck immer wieder, auch widerwillige ZuschauerInnen vor der Mattscheibe zu halten.
Nicht nur, daß Brebeck die „Mad Max“-Welt des zerschossenen Sarajevo wieder geradezu meisterhaft vermittelte; der Reporter komponiert seine Berichte auf ganz eigene Art: Obwohl Unmengen von Informationen transportiert werden, steht man am Ende immer genau so dumm da wie am Anfang.
Das Prinzip dahinter ist die gute alte Dialektik, wie ich mit Hilfe meines Videorecorders nachvollziehen konnte. Nach der These von der „Normalität“ des Jahres 1984 durfte Jure Franko, mittlerweile slowenischer Spitzensportler, zur Antithese überleiten. In zünftigem Wintersportler-Look formulierte er die zentrale Frage, die sich alle Ex-JugoslawInnen stellen: Müssen sie sich angesichts des Grauens und der Greuel in der Heimat nun schämen? Den Jubelbildern des Jahres 1984 setzt Brebeck dann die Bemerkung hinzu, schon damals habe das Zusammenleben der Völker Jugoslawiens ja nicht mehr so richtig funktioniert.
Da sind sie wieder, die Serben, Kroaten, Slowenen und Muslime, mit denen sich die internationale Öffentlichkeit seit dem 27. Juni 1991 ständig auseinanderzusetzen hat. Und wie immer verschwinden die einzelnen Menschen in Brebecks Beitrag hinter den Nationalitäten, die sich ja angeblich auf dem Balkan bekriegen. Am Ende die Synthese: Auf dem Balkan spinnen eben alle, und deshalb können wir nichts tun.
Ohne das nochmalige Anschauen auf Video wären mir die vielen kleinen Kunstfehler dieser Brebeckschen Dialektik sicher nicht aufgefallen. Zum Beispiel, wenn der serbische Ski-Trainer und Soldat sagt, die Serben seien eben ein „merkwürdiges“ Volk (čudan), und das Adjektiv dann in der Übersetzung „bemerkenswert“ heißt. Oder wenn das Unverständnis der in Sarajevo eingeschlossenen Menschen ob der von ihnen eben nicht mitverursachten Situation bildsprachlich von ethnisch getrennten Friedhöfen kommentiert wird.
Ich werde Brebecks Berichte in Zukunft öfter zweimal anschauen: um einerseits die Informationen aufzunehmen, die der ARD-Kriegsberichterstatter hervorragend zu vermitteln weiß, und andererseits damit ich nicht doch irgendwann einmal anfange zu glauben, im Südosten Europas würden sich tatsächlich „Völker“ genannte anonyme Großgruppen bekriegen – und nicht politische und soziale Interessensgruppen wie sonstwo auf der Welt. Rüdiger Rossig
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