Standbild: Jubiläumsscheidung
■ "Ehen vor Gericht", Montag, 19.15 Uhr, ZDF
„Ehen vor Gericht“, Montag, 19.15 Uhr, ZDF
Als Ruprecht Essberger 1970 die Reihe „Ehen vor Gericht“ erdachte, drehte sich bei einem ehelichen Zerwürfnis noch alles um die Schuldfrage. Ging er fremd, oder hat sie die Kinder zu sehr vernachlässigt? War er herzlos oder sie eine Schlampe? Spannende Fragen, die im telegenen Gerichtssaalsetting ihrer Auflösung harrten. Doch rasch kam die Wende in Gestalt der Eherechtsreform. Seit 1972 wird der Bund fürs Leben nämlich ohne Klärung der Schuldfrage geschieden – und das dramaturgische Konzept von „Ehen vor Gericht“ hätte der sozialliberalen Aufklärung zum Opfer fallen müssen, wäre die neue Rechtsprechung nicht so kompliziert: Jahrelang vermittelte die ZDF- Reihe anhand unzähliger Fallbeispiele die Tücken des Scheidungsrechts. Bekommt er nun das Sorgerecht für die Kinder, oder muß sie aus dem gemeinsamen Haus ausziehen?
Als auch der letzte Zuschauer begriffen hatte, daß Scheiden eben weh tut, kamen die sozialen Härten des Ehelebens zum Zuge. Zur 75. Jubiläumssendung hat sich Ruprecht Essberger nun dem Thema „Sexueller Mißbrauch“ angenommen. Wie aus dem Lehrbuch inszeniert er das häusliche Drama: Seit vier Jahren vergeht sich Vater Weissbach an seiner minderjährigen Tochter Laura. Und wäre Tante Ingrid nicht zufällig Zeugin der Übergriffe geworden, täte er dies womöglich heute noch. So aber beginnt sich die Maschinerie der TV-Gerichtsbarkeit zu drehen: Laura wird in eine Zufluchtsstelle überstellt, die Mutter reicht eine sogeannte „Härtescheidung“ ein. Dem Richter wird das Urteilen leicht gemacht: in klaren und geordneten Worten kann Laura den Tathergang schildern, die Augenzeugin Ingrid bestätigt ihre Einlassungen. Das Schicksal des Herrn Weissbach ist besiegelt.
Im wahren Leben ist die Beweisführung fast immer komplizierter, allzu oft kommen die Täter ungeschoren davon, gelegentlich werden Unschuldige zu Opfern einer Rufmordkampagne. So viel Realität sprengt aber das Konzept einer Gerichtsreihe, die schon so die Hälfte der Sendezeit benötigt, um die außergerichtliche Vorgeschichte zu erzählen. Weitere „Ehen vor Gericht“ werden nötig sein, um weitere Aufklärung zu betreiben. Sollte das ZDF nicht auf die Idee kommen, auch diese der juridischen Grundversorgung verpflichtete Informationsreihe dem Unterhaltungswahn zu opfern. klab
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