■ Standbild: Hirnhingemurmelt
Ulrich Meyers Nachrichtensendung „18:30“, Sat.1
Ulrich Meyer will mit seiner neuen Nachrichtensendung den „geänderten Lebensgewohnheiten“ der ZuschauerInnen Rechnung tragen. So ging es über alle Ticker. Und das ist doch allerhand.
Denn selbst so ein Zuschauer wie ich, der sich noch nicht geändert hat, der sich aber ändern will, der nicht mehr rauchen und nicht mehr bähmollig sein will (ehrlich, Susi!), der hat doch gerade bei den Nachrichtensendungen keine Chance, sich als veränderungsfähiges Wesen zu spiegeln. Schon der eigene Vater saß stur um 20 Uhr vor der „Tagesschau“ und rauchte. Der Sprecher saß schon damals rechts außen in der Ecke und las emotionsfrei und langsam vom Blatt die Meldungen ab. Und immer, wenn er zum Schluß kam, hob er seinen Werner-Veigel-Blick, das Blatt, die Stimme an, und Mutter sprach: „Schau, wie sauber dem seine Finge sind.“ Das alles hatte Ritus, Rahmen, Wiederholungszwang und den Knastcharakter.
Und wie anders ist jetzt das Nachrichtensehen mit Ulrich Meyer. Der zottelt nicht locker los, wenn er ins Bild kommt. Der wartet wie ein Traberhengst auf das Startsignal. „Kamera ab!“ mußte ihm der Regisseur beim Sendestart zurufen. Er hat auch viel Weg vor sich. Der muß der „Tagesschau“ Konkurrenz machen und das neue Programmschema seines Senders retten. Loyalität und Vatermord, so sein Begehr.
Und so legte er dann auch los, bekannt nervös und mit angelegter Augenbraue: „Guten Abend, meine Damen und Herren“, sprach er wieselflink dahin, „in diesen Minuten läuft eine Geiselnahme in Paris.“ Dann zeigte er uns Bilder vom Verkehrschaos im Streik-Paris: „Halb Frankreich steht vor dem Nervenzusammenbruch.“ Und war das nicht aufstörend? Kindsentführung und Streik: Paris. Selbst das Verbrechen steckt im Stau. Wer hat uns das je gemeldet?
Und weiter ging's: „In Bonn sprach der Bundeskanzler heute: Es gibt keine Neuwahlen. Damit steht die FDP mit ihren Personalproblemen allein da.“ Auch das hatte die Semantik des Aufbruchs: Kohl als Personalproblem der FDP. Das würde so ein „Tagesschau“-Sprecher wie Jens Riewa sich nicht einmal trauen zu denken – nur weil die Nachrichtenlage das nicht erlaubt.
Auch die dritte Hauptmeldung hatte den Putsch gegen die Diktatur der Agenturen: „Eine juristische Sensation, eine völlige Überraschung: Monika Weimar ist frei.“ Sicher, man muß dem Meyer auch mal was nachsehen. Monika Weimar heißt heutzutage eigentlich Monika Böttcher. Sie hat sich scheiden lassen. Und sie ist auch nicht von dem Verdacht des Kindsmords freigesprochen worden, sondern wartet auf einen neuen Haftbefehl. Und sicher auch das: Man muß sich die „Tagesschau“ ansehen, um das zu wissen. Aber diese blöde Altherren-Nachrichtenlage! Was haben wir nicht darunter zu leiden gehabt, alle diese Tagesschauen lang.
Wer kann sie besser unterlaufen als Meyer? Und wer kann sich polemisch exakter versprechen als er? Unser Meyer? Die Bestätigung der Bosnienpolitik des US-amerikanischen Präsidenten durch den Senator Dole sei, so sagte er, doch nur so „hirnhingemurmelt“ gewesen. Das kann kein Riewa, kein Lojewski, kein Wickert, kein Riltz, und wie die Mustersöhne des Veigel alle heißen mögen. „Hirnhingemurmelt“! Das hat Bauch! Das hat den Furor, der tiefer noch als aus der Quotentiefe kommt.
Wenn Meyer in Sachen Fajfr von „ehrgeizigen Eislaufmuttis“ spricht, wenn er seinen Regisseur kurz mal anraunzt, weil er nicht weiß, ob er noch einen Beitrag stauchen kann, dann ist man wie mittendrin im Auge des Taifun. Und schon sieht man am Horizont die dunklen News-Wolken, die kommen werden, um einen mitzureißen – in eine andere, veränderte Welt. Marcus Hertneck
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