■ Standbild: Unanständig munter
„Der Zeichner des Gulag“, Dienstag, ZDF, 22.35 Uhr
Dancik Baldajew war einer der besten Kriminalpolizisten Leningrads. Dennoch wurde er nie ausgezeichnet, denn sein Vater war ein buriatisch-mongolischer „Volksfeind“, der für zwei Jahre in den Gefängnissen Stalins verschwand. „59 Menschen aus dem Stamm meines Vaters und meiner Mutter“ hat Baldajew unter Stalin verloren. Daß er nie ausgezeichnet wurde, kränkt den kleinen Mann heute noch. Er hat für das sowjetische Innenministerium gearbeitet, auch als Blockleiter im Gulag. Der Katzenliebhaber hat aus einer Nazi- Rassenlehre eine „Anleitung für die Erkennung von Juden“ nachgezeichnet, weil die Miliz so etwas brauchte.
In den fünfziger Jahren begann Baldajew, das Gulag zu zeichnen: Männer, denen man bei der Folter achtzehn Nägel durch die Hände schlägt. Nackte Frauen, denen von der schweren Arbeit die Gebärmutter aus dem Leib hängt. Baldajew hat alles mit eigenen Augen gesehen; besonders die Details waren ihm wichtig. Die schlimmsten Foltergeschichten hörte er im Casino, wenn die Offiziere sich betrunken hatten. Baldajew hat das Gulag gezeichnet, heimlich natürlich, „um zu rechtfertigen, daß ich da gearbeitet habe“. Ein Mensch, der überleben wollte? Ein Sadist?
Der kurze Dokumentarfilm von Hans-Peter Böffgen und Andrzej Klamt war gut wie selten einer. Kein Soundtrack mit russischen Balladen, keine Birkenwäldchen, die sich im Wind wiegen. Bis an die Grenzen der Unerträglichkeit spielte der Film die stumme Fassungslosigkeit der Filmemacher und die muntere, geradezu unanständige Lebenstüchtigkeit von Baldajew aus, ohne dem Zuschauer zu suggerieren, was er zu denken hätte – außer einem: Was erwartet man eigentlich von einem Jedermann wie Baldajew – daß er sich gebrochen durch den Rest seiner Tage schleppt? Stolz zeigt er die Alben mit den Fotos seiner Kriminalfälle. Er hat das Wort „Mitleid“ nie gekannt – oder aber vergessen.
Den beiden Regisseure bleibt „die lebende Fotokamera“, wie Baldajew sich nennt, unheimlich. Sie können ihm einfach nicht glauben, wenn er ihnen am Schluß mit auf den Weg gibt, daß „man sein Ich immer bewahren muß“. Ein paar Minuten vorher hat er noch „geprahlt“ (er benutzt dieses Wort tatsächlich und ohne Ironie): „Sechstausend Leute habe ich ins Lager geschickt.“ Anke Westphal
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