■ Standbild: Beruf: Terrorist
„Ein Mann namens Carlos“, Di., 23.15 Uhr, WDR
Faszinierend sind nicht nur die Lichtgestalten der Geschichte. Auch „Bösewichte“ sind spannend, können uns sogar spätnachts vor den Fernseher treiben. Wie der Terrorist Carlos, Ilich Ramirez Sanchez mit Klarnamen, der in den 70er und 80er Jahren mit ebenso verheerenden wie waghalsigen Attentaten von sich reden machte.
Der Journalist Gilles de Jonchay befaßt sich mit einem Promi der Schattenwelt. Ein wilder Ritt durch die halbe Welt. Von Venezuela, wo heute noch der Vater und die Familie leben, bis zur vorläufig letzten Station: Carlos sitzt mittlerweile in Frankreich, zu lebenslanger Haft verurteilt. Kompetente Zeitzeugen wurden an allen Zwischenstationen befragt. Mitschüler in Venezuela, die an die weltweite Begeisterung für den Kommunismus erinnern, an die revolutionäre Stimmung in Lateinamerika. Sie beschreiben Carlos als ruhigen Jugendlichen, der nie Flugblätter verteilen wollte, aber schon immer davon überzeugt war, daß Revolution ohne bewaffneten Kampf nicht machbar ist. Über Paris und London kam Carlos an die Moskauer Lumumba-Universität, wo sich in den 60er und 70er Jahren Zigtausende Studenten aus der Dritten Welt trafen. Auch er landete in Beirut. Die libanesische Hauptstadt war während des Kalten Krieges einer der Übergänge von der Licht- in die Schattenwelt. Bassam Abu Sharif, damals Aktivist der Volksfront zur Befreiung Palästinas, und die ehemalige Flugzeugentführerin Leila Khaled berichten von ihren Begegnungen mit Carlos. Die revolutionären Bewegungen kooperierten mit allen östlichen Geheimdiensten, politische Attentate gehörten zum Alltagsgeschäft der Blockkonfrontation. Carlos war immer dabei, doch von niemandem zu kontrollieren. Exgeheimdienstler berichten davon. Mit dem Ende des Kalten Krieges, das ist sonnenklar, gibt es auch für Carlos nichts mehr zu tun.
Über den Terroristen, seine Psyche, sein Privatleben haben wir nicht viel Neues erfahren. Wohl aber über eine Zeit, die solche Gestalten hervorgebracht hat. Und wir blieben in dieser ruhigen und nüchternen Reportage wohltuenderweise einmal von Stasi-Material verschont. Petra Groll
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