Standbild: Leben voller Leipzig
„Tatort – Einsatz in Leipzig“, So., 20.15 Uhr, ARD
„Gefühle“, sagte Bruno Ehrlicher, quasi als Leitsatz und mehrfach und so leidenschaftslos, wie es nun mal seine Art ist, „Gefühle tragen oft weiter.“
Der dazugehörige „Tatort“ versprach im Untertitel trotzdem nur einen „Einsatz in Leipzig“. Und damit nicht gerade viel. Viel weniger jedenfalls als etwa jenes „Leben voller Leidenschaft“, in das Sat.1 ein paar Milliönchen und Katja Riemann gesteckt hatte, damit die dazugehörige, durch und durch französische Biografie-Verfilmung eines hier zu Lande doch eher nichtssagenden Schriftstellers (oder woran denken Sie, wenn Sie „Der Landarzt“ hören? Oder gar „Das Chaginleder“, „Oberst Chabert“, „Die Frau von 30 Jahren“, „Eugénie Grandet“, „Vater Goriot“, „Glanz und Elend der Kurtisanen“, „Tante Lisbeth“ und – mit Dank an Meyers Großes Taschen-Lexikon – „Vetter Pons“?) dann auch Platz 1 in der sonntagabendlichen Quoten-Hitliste ergattern würde.
Leipzig oder Leidenschaft? Da fällt die Wahl nicht schwer.
Und wohl deshalb ließ sich denn auch das Gros der Zuschauer (8,39 Millionen) von seinen Gefühlen nach ... Leipzig tragen – und genoss eine schwule Bettszene (Kripo-Chef mit Doppelmörder); eine noch peinlichere Tangoszene (Kneipenwirtin mit Wischmopp); eine Lebensweisheit („Wer keene Woffe dräächt, erschießt ooch keenen.“); natürlich der Ossikommissar Ehrlicher, der irgendwann bei seinem „Einsatz in Leipzig“ ein Gläschen Sekt genau so beiläufig runterkippt, wie sein kongenialer Verkörperer Peter Sodann es unlängst im allwöchentlichen WDR-Promi-Test „Zimmer frei“ mit einem Wasserglas Wodka tat; sowie Ehrlichers überraschende Versetzung nach Leipzig (die umso weniger überraschte, als man ohnehin nicht wüsste, was das für einen Unterschied macht). Und womöglich half bei der Entscheidung für Leipzig die tröstlich dahinkalauernde Erkenntnis, dass dieser teils unbedarfte, teils unausgegoren inszenierte Kriminalfall immerhin bloß dem letzten vergangenen Jahrhundert entsprang. csch
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