: Standardbrüste
■ „Die Dreigroschenoper“ vom Puppentheater Berlin(Ost)
Die Dreigroschenoper ist eigentlich das, was auf den wunderbar spannenden 'BZ'-Titeln immer versprochen im redaktionellen Teil jedoch nur äußerst selten gehalten wird. „Sie ist eine Art Referat über das, was der Zuschauer im Theater vom Leben zu sehen wünscht“, sagt Brecht, und weise werden in ihr die Cliches zugleich wiederholt und gebrochen: Mackie Messer parodiert die bürgerliche Projektion ihres vermeintlichen Antipoden - the dark side of Bürgertum. Denn eigentlich ist er, so Walter Benjamin, „eine Führernatur. Seine Worte haben den staats-, seine Taten den kaufmännischen Einschlag. (...) Er versteht es, zur Schau zu tragen, was der verkümmerte Kleinbürger sich unter einer Persönlichkeit vorstellt“. Das eigentlich antibürgerliche Subjekt der Oper dagegen ist Peachum, der geldgierige Geschäftsmann, in dessen Laden „die Elendsten der Elenden jenes Aussehen“ erhalten, „das zu den immer verstockteren Herzen“ spricht, denn nur der kann als Bettler erfolgreich sein, der auch unterhaltend einen ordentlichen Bettler vorstellen kann; dem es gelingt, einen der „Grundtypen des Elends“ zu verkörpern, „die geeignet sind, das menschliche Herz zu rühren“.
Mehr als sechzig Jahre ist die Dreigroschenoper alt und kehrt wieder, wie vermeintlich auch die Geschichte wiederkehrt, als ihr eigenes Zitat, ohne die Utopie des Vergangenen: auf der Puppenbühne. Und die Brechtsche Verfremdung, die in der Zeit der Liederplünderung - von Hilde Knef zur NDR-Studioband - schon uneinholbar rückgängig gemacht, d.h. entfremdet wurde, erfährt dort, in der Greifswalder Straße, ihre Aktualisierung.
1988, als man begann, das Stück aufzuführen, sollte noch erzählt werden, „daß sich auch in unserer sozialistischen Gesellschaft Leute aufgrund der Arbeit anderer bereichern können. Durch den Um- und Aufbruch hat das Stück nun eine andere Dimension. Und seit den freien Wahlen hat es wieder eine andere Dimension“, meint Wieland Jagodzinski, einer der Puppenspieler. „Am Anfang war der Andrang groß. Das Stück war immer ausverkauft. Zur Zeit ist es so, daß kaum ein Mensch ins Theater geht. Das Problem haben alle Bühnen in Ost-Berlin.“ So sind auch kaum mehr als dreißig Leute im vielleicht 200 Zuschauer fassenden schmucklosen Saal des Puppentheaters Berlin. „5,05 kostet 'ne Karte - det hält vielleicht auch noch viele ab.“
Auf dem Bühnenpodest sind zwei Holztüren expressionistisch bemalt: Menschen in grellen Farben fallen durch die Großstadt, Mörder und Opfer, zwei, die fliehen, Huren mit dicken Brüsten. Ein Mensch in schwarzem hautengen Dreß, eine Art Batman pfeift schrill zu Beginn. Die Türen gehen auf und geben den Blick frei auf einen nach vorne hin offenen Käfig, der mal Schauspielproduktionsstätte, mal Gefängnis, mal Peachums Laden, mal der Stall ist, in dem Polly und Mac heiraten. Zwei Frauen, zwei Männer führen 35 Stabfiguren; die sind genormt, verschieden bemalt. Die Brüste, so sagt man mir später, seien immer die gleichen, und wenn sie auch die gleichen Formen hätten, so unterschieden sie sich doch wie im Leben durch unterschiedliche Farbgebung, Brustwarzengröße usf. „Die Grundidee war, daß sie austauschbar sind.“ Im Hintergrund ziehen die Puppen, dies zu verdeutlichen, an einer Stange nebeneinander aufgehängt vorbei. Die Spieler sind in schwarz, und „was schwarz ist auf der Bühne, ist ja eigentlich nicht da“.
Neben der Bühne spielt Stephan Hellman Klavier. Vielleicht hätte man anstelle der Klavier- die Orchesterfassung nehmen wollen, doch das wäre zu teuer gewesen, achtet doch Doktor Scherer, Agent der Kurt Weill Foundation New York in Leipzig, streng darauf, daß nur Originalgetreues zur Aufführung kommt. Wegen ungetreuer Wiedergabe hatte die Foundation schon einmal vor Jahren ein Aufführungsverbot für die DDR durchgesetzt.
Zwar ist die Musik originalgetreu, die Kürzungen des Textes jedoch - unvermeidlich, will man in zwei Stunden fertig werden - reduzieren die Spannweite des Stücks. Da vorausgesetzt wird, daß man weiß, wer Peachum ist und was er macht, verliert er als Gegenpart zu Mackie Messer sein Profil. Die Kürzungen sind indes nicht notwendig, das Stück wird nie langweilig und könnte ruhig zwei Stunden länger dauern.
Zu Beginn eines jeden Aktes rasselt eine Leinwand herunter, auf der Brechts Szeneneinführungen zu lesen sind. So karg sind die Puppen, daß man beim Ansehen noch meint, die Arbeitsspuren des Puppenherstellers zu spüren. Eigentlich sind sie alle nackt. Einer der Gauner, „Trauerweidenwalter“, hat zwei Gesichter: Theater und sein Symbol zugleich. Das Gesicht von Mackie Messer ist schwarz, und am Ende blättern tausend dünne Masken ab. Polly, Peachums Tochter, Mackies Freundin, ist grell geschminkt; Sex soll es meinen, wenn sie japsend auf seinen Schultern sitzt. Zum Lied von der sexuellen Hörigkeit kopulieren freundlich die Puppen; wie in der Peepshow spreizt eine die Beine. Manchmal wirkt sie so obszön wie ein nackter Frosch.
Die Puppenspieler erscheinen immer als Arbeiter: Die Puppen sind zugleich ihr Arbeitsgerät und das zu bearbeitende Material. Etwas weniger als einen Meter sind sie groß; ein Stab führt zum Kopf, zwei Bänder zu den Händen, und eins endet an den Hüften. Wenn die Puppen gespielt haben, singen die diplomierten Absolventen des Puppenspielstudiengangs an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Sie singen Evergreens, wie man so sagt: die Moritat von Mackie Messer „und der Haifisch, der hat Zähne...“ oder das Lied von der Seeräuber-Jenny; Zitate fallen, die sprichwörtlich geworden sind: „Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht“, „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, „denn für dieses Leben ist der Mensch nicht gut genug“ oder, an Polizisten gerichtet: „Man schlage ihnen ihre Fressen/ Mit schweren Eisenhämmern ein./ Im übrigen will ich vergessen/ Und bitte sie, mir zu verzeihn.“ Und wenn sich die Spieler verabschieden, gehen sie mit ihren Figuren auf dem Rücken ab.
In der Dreigroschenoper taucht zum Schluß der reitende Mackie Messer als rettender Bote auf. Er spricht durch die hölzerne Maske Brechts, die man einen Moment lang für Kanzler Kohl halten kann: „So leicht und glücklich wäre unser Leben, wenn die reitenden Boten des Königs immer kämen.“
Auf den reitenden Boten werden wohl auch die 77 Mitarbeiter des Puppentheaters Berlin warten. Hatte der 8. Parteitag der SED, wie aus einer Broschüre hervorgeht, den Puppentheaterschaffenden der DDR noch neue Impulse gegeben, so fühlen sich die Schauspieler seit der Wende als nicht konkurrenzfähiger, übersubventionierter Apparat. „Wir werden Stellen abbauen müssen“, erkennen die Puppenspieler, „und einen Manager brauchen wir auch“.
Detlef Kuhlbrodt
Jedes erste Wochende im Monat, Fr., Sa., 20Uhr, Greifswalder Straße 81-84 (S-Bf. Ernst-Thälmann-Park)
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