: Stahlplatteln
■ Zur Bremer Premiere von Susanne Linkes Tanztheater „Ruhr-Ort“
Unter Tage ist es dunkel und humorlos. Erst recht, wenn man da arbeiten muß. Aber auch als Tänzer hat man's nicht leicht in der Grube und muß mit Stahlplatten zu 36 Kilo werfen. Da zuckt schlußendlich auch das Publikum, und so haben alle was davon. Bloß was? Egal. Vielleicht die Ästhetik der Sozialkritik. Aber wer weiß schon Genaues.
Susanne Linke, neue Bremer Tanzchefin, hat jedenfalls ihren alten „Ruhr-Ort“ wieder ausgegraben, obwohl er gerne liegen geblieben wäre. Schließlich hat er im Grab schon Rost angesetzt und sowas wirkt leicht trübe im Scheinwerferlicht. Solange alles dunkel ist, geht's. Da ist es aber auch dunkel. So dunkel, daß erstmal lange gar nichts passiert, bis wir merken, wie enorm dunkel es ist. Eben wie im Bergwerk oder auf einer schwarzen Bühne mit höchstens einem Teelicht im Schnürboden. Von oben, aber eigentlich von überall, dröhnt wie durch Fugen der häßlichste Krach und simuliert: ein Bergwerk. Da die meisten Bremer sicher noch kein Bergwerk gesehen haben, kann man sich sowas natürlich gar nicht genug vorstellen - vielleicht haben deswegen am Ende alle geklatscht, wegen soviel weit hergeholter Wirklichkeit.
Jetzt ist sie aber endlich hier, und Eisenstangen erheben sich aus dem Boden. Jetzt kommen Männer, das sind die Tänzer. Sie haben Arbeitskleidung an. Jetzt fällt eine Stahlplatte herab: Klapppp! Huch! Jetzt haben die Männer Hämmer in der Hand und hauen wie Berserker auf die arme Stahlplatte. Die Kritiker halten sich die Ohren zu, das Publikum hört mit und braucht keine demonstrativen Haltungen. Jetzt laufen die Männer auf der Stahlplatte, also auf der Stelle. Jetzt rennen die Männer auf der Stahlplatte. Jetzt joggen die Männer um die Stahlplatte herum. Jetzt klettern die Männer die Leitern im hinteren Dunkel hoch. „Das muß die Frühschicht sein“, sagt mein Nachbar, und wir haben überhaupt noch viel Spaß miteinander. „Das ist eben die Monotonie der Arbeit“, sage ich, „wie soll man die sonst glauben“. Aber da geht's schon weiter, weil die Männer jetzt Männergebaren an den Tag legen. Das heißt, sie halten die Hämmer wie Phallussymbole vor sich, das dauert ziemlich lange, damit alle die Möglichkeit haben, die spezifisch männliche Komponente innerhalb dieser Situation zu sehen.
Oben drüber jaulen jetzt Starfightergeigen, und unten drunter tanzt der Statistikreport, indem einer über den Boden rollt und Bruttoregistertonnen rezitiert. Eigentlich tanzt aber auch noch der Industriereport, denn jetzt machen die Männer abgehackte Turnübungen. Vielleicht macht man ja in der Industrie solche Übungen, ich kann dazu leider nichts sagen, weil ich noch nie in der Industrie war. Nur einmal bei Mercedes, und das war ziemlich furchtbar. Gerade haben die Männer imaginäre Eisentüren aufgeklappt, vielleicht komme ich deswegen auf den Fahrzeugbau.
Ich habe noch gar nicht erwähnt, daß im Hintergrund ein monotones Wassergeplätscher zu hören war. Sicher genauso läuft es im Bergwerk herab. Komischerweise haben mein Nachbar und ich plötzlich an die sieben Zwerge in ihrem Stollen gedacht, was aber nur daherkam, daß die Männer bei ihren Übungen immer gezählt haben und wir „Hau-Ruck“ heraushörten. Vielleicht wollten wir es auch heraushören, außerdem waren es nur sechs Männer. Am Ende kamen noch Duschen herabgeregnet, so konnten die Tänzer sich auf der Bühne etwas erfrischen.
Es soll im Ruhrgebiet übrigens auch Grünflächen geben, ich kenne zum Beispiel den Westfalenpark. Warum eigentlich nicht mal ein Stück über den Westfalenpark? Oder über Fußgängerzonen? Man müßte bloß zu Fuß in eine Fußgängerzone gehen und zusehen, wie sehr die Menschen immer hin- und herlaufen. Oder rennen. Und wiederum welche einfach stehenbleiben. Das ist doch auch hübsch monoton, und man hätte als Kulisse ein bißchen was Nettes. Auch könnte der ein oder andere mal eine imaginäre Wurst essen oder auf Hundehaufen ausrutschen, was Anlaß zu neuen Tanzfiguren gäbe.
„Ich vermisse meine Betroffenheit“, hat mein Nachbar am Ende allen Ernstes gemeint, und aufgeräumt unerschüttert gingen wir jeder nach 70 Minuten nach Hause. So ist das heutzutage mit uns. Gestählt durch Warncke-Eisspots in Montagehallen, langweilen wir uns leicht bei Sozialkitsch aus den 70ern, auch wenn er von 1991 stammt und meint, mit 1:1-Radau und kritischen Zuckungen sei die Wirklichkeit nicht nur abgebildet, sondern künstlerisch getroffen.
Claudia Kohlhase
Termine: 8. und 9.12. um 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz
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