„Ständig im Kampf“

Ekin Deligöz (27) aus Neu-Ulm ist für die Bündnisgrünen auf dem Sprung in den Bundestag und will das pragmatische Lebensgefühl der jungen Generation in die angegraute Partei tragen  ■ Von Constanze v. Bullion

Das Klingeln reißt nicht ab. Morgens rufen sie an und nachts, dem einen fehlen 50.000 Mark für sein Theater, der andere braucht Cash für die Würstchenbude, die meisten Anrufer aber wollen nur das eine: um „Frau Ekins“ Hand anhalten. Wie ein Lauffeuer hat sich in der türkischen Gemeinden herumgesprochen, daß Ekin Deligöz das große Los gezogen hat. Mit Platz 5 auf der bündnisgrünen Landesliste Bayern und knapp sechs Prozent am 27. September winkt der Studentin aus Neu-Ulm ein Job im Bundestag. „Da bischt dann plötzlich 'ne gute Partie“, schwäbelt die 27jährige und dreht die Augen himmelwärts, als sie den Hörer auflegt. Den Goldring, den sie sich zur Abschreckung lästiger Verehrer angesteckt hat, können die Jungs am anderen Ende der Leitung ja nicht sehen.

Die angehende Verwaltungswissenschaftlerin und Senkrechtstarterin am grünen Horizent läßt sich in Mutters selbstgenähte Sofakissen fallen, wenn sie aus ihrem Studienort Konstanz nach Hause kommt, nimmt sich ein Stück Melone und legt los: „Klar bin ich Türkin. Aber nicht die kleine Schwester, zu der mich viele türkische Männer machen wollen“, sagt Ekin Deligöz, sobald Freunde nach so was wie Selbstverständnis fragen. „Tut mir leid, ich bin Deutsche“, blaffte sie dagegen einen Polizisten an, der sie aufforderte, mit ihren „türkischen Landsleuten“ eine Demo zu räumen.

Daß man alles zugleich sein kann, türkische Tochter, deutsche Akademikerin und Politikerin, die für die doppelte Staatsbürgerschaft trommelt, ist längst kein Thema mehr in dem atemberaubend anständigen Siedlungsblock in Senden bei Neu-Ulm, wo Helmut Meisel die Bücher führt. Er ist Lehrer, grüner Stadtrat und Ekins Stiefvater. Und stellt für die Kandidatin etwa das dar, was Peter Graf seiner Steffi war. Von Unregelmäßigkeiten im Management selbstredend abgesehen, bei Helmut Meisel gibt es keine Unregelmäßigkeiten. Nicht in seinem akribischen Stundenplan, nicht in der Ausrichtung der Natur-Hefte im Regal, und vor allem nicht da, wo es um Ekins Karriere geht.

Heute das Castor-Treffen, morgen der Auftritt in Kaufbeuren, „natürlich unterstützen wir die Ekin“, versichert „der Helmut“, der die Wahlkampfjolle seiner talentierten Stieftochter durch die Untiefen des Politgeschäfts manövriert. „Manchmal ist es schon nervig heimzukommen, und sofort werden Termine durchgesprochen“, findet die Ekin, die sonst nichts auf ihre Eltern kommen läßt. Auch wenn die manchmal ihre zahlreichen Puppen oder die „Sissi“-Videos belächeln, vor denen Ekin manches Stündchen verdämmert. Schließlich ist es verdammt anstrengend, in Theo Waigels Wahlkreis anzutreten.

Da sind die dröhnenden Asylparolen der CSU, denen Ekin Deligöz den Kampf ansagt. Da ist der Drohbrief eines Anwohners, der nach ihrer Nominierung empfahl, „Deutsche mit türkischer Gesinnung“ auszuweisen, sonst müßten „alte Deutsche wieder zu den Waffen greifen“. Da sind die Skeptiker in der eigenen Partei, die maulten, eine türkische Kandidatin werde Wähler vergraulen. Und mit den Zähnen knirschten, als sie Halo-kein-Urlaubsflug-Seibold und Elisabeth-kein-Tempo-100-Altmann in Bayern auf unsichere Listenplätze verwies. Nicht zu vergessen die konservative türkische Presse, die versuchte, Ekin als linke Lotterliese zu diskreditieren.

Zwischen die multikulturellen Fronten zu geraten, will Ekin Deligöz sich ersparen. „Die älteren Türken träumen von der Türkei, wir jungen von einem guten Leben hier“, sagt die Studentin, die eben ihre Diplomarbeit über „Segregation und Integration von Türken in Konstanz“ abgegeben hat. Für weniger Bürokratie, Stärkung der Kommunen und „größere Eigeninitiative im sozialen Bereich“ wird sie sich einsetzen – später mal. Denn vorerst steht sie vor allem für die widersprüchliche Welt der jungen Migrantengeneration.

Im anatolischen Tokat ist Ekin Deligöz geboren, als Enkelin einer sozialdemokratischen Stadträtin und Tochter einer Lehrerin, die 1979 nach Ulm ging, um Gastarbeiterkinder zu unterrichten. Hatice Güler-Meisel, die heute ein Bildungsprojekt für türkische Mädchen leitet und sich zu Hause den Kaffee auch mal servieren läßt, hat ihre Tochter zu jeder Demo gegen die Pershing II mitgenommen. Ekin hat grüne Ideen quasi mit der Muttermilch eingesogen und behauptet dennoch, sie komme „nicht mehr aus der Friedens- oder Umweltbewegung“.

Auch Feminismus scheint nicht der letzte Schrei, die junge Dame lebt längst „mit dem Heinzi“ in Konstanz zusammen, „natürlich ohne seine Hemden zu bügeln“. Kein Thema ist es, mit jungen, eher linksliberalen Türken für einen Radiosender und die Zeitung Merhaba zu arbeiten, keine Frage, daß ihr Jungs auf die Nerven gehen, die sich „von 'ner Frau nichts sagen lassen“. Aber als Ekins Lehrerin, „so 'ne Emanze“, ihr das große „I“ der KämpferInnen beibiegen wollte, fand sie das „ziemlich daneben“.

Die jungen Grünen brächten eben „neues Lebensgefühl“ in die angegraute Partei, meint die 27jährige, „was die als Ellenbogengesellschaft wahrnehmen, ist für uns längst Alltag“. An der Uni etwa war es ihr Job, die Seiten aus Lehrbüchern zu ersetzen, die Studenten geschwärzt hatten, um ihren Konkurrenten die Prüfung zu versauen. „Du bist ständig im Kampf weiterzukommen, immer treibt dich die Angst, ein Versager zu sein, das löst unheimliche Aggressionen aus“, weiß Ekin, die Distanz zu derartigen Zeitgenossen hält. Eine „totale Niederlage“ aber wäre es auch für sie, „keinen Job zu haben und finanziell oder menschlich abhängig zu sein“.

Sie hat sich entschieden. Hat im Februar 1997 ihren türkischen Paß mit dem deutschen vertauscht, „weil man mehr Chancen hat“. Für ihre Mutter käme das nicht in Frage. „Das ist Abschied von zu Hause, das wäre schlimm“, sagt die Frau, die es mächtig wurmt, nach 19 Jahren in Deutschland „nicht wirklich mitbestimmen zu können“. Ihre Tochter könnte das jetzt ändern, und allzugroßen Respekt hat Ekin nicht vor den grünen Dinos. Joschka Fischer? „Hat Starallüren.“ Rezzo Schlauch? „Ein alter Macho.“ Trittin vielleicht? „Der tut mir leid.“ Zur Politik müsse man eben berufen sein, verkündet die Kandidatin freudestrahlend, bevor sie zur nächsten Veranstaltung aufbricht. Kein bißchen Magengrummeln? „Womöglich in Bonn als Hinterbänklerin zu verschimmeln und es – typisch Frau – nicht allen recht zu machen.“