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Städte in der Schuldenfalle"Arme werden ärmer, Reiche reicher"

Viele Städte kommen allein aus der Schuldenfalle nicht heraus, sagt Gerd Landsberg vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er fordert ein schnelles Hilfspaket.

Viele Bildungs- und Freizeitangebote wie Büchereien müssen schließen. Bild: ap
Interview von Andreas Wyputta

taz: Herr Landsberg, beim Treffen der kommunalen Spitzenverbände mit den SPD-Bundesministern Steinbrück, Tiefensee und Steinmeier vertreten Sie den Städte- und Gemeindebund. Was erwarten Sie von den Sozialdemokraten?

Gerd Landsberg: Wir wollen erst einmal wissen, was die Bundesregierung, was die SPD angesichts der drohenden Wirtschaftskrise vorhat. Denkbar ist ein weiteres Konjunkturpaket speziell für die Städte und Gemeinden: Deren Potenzial, etwas gegen die Rezession zu tun, ist noch lange nicht ausgereizt.

Sie wollen also frisches Geld vom Bund?

Wir haben in den Städten einen riesigen Investitionsstau. Bis 2020 fehlen im Schulbereich 73 Milliarden, beim Verkehr 38 Milliarden Euro. Mehr Geld für Bildung, für die Renovierung der oft maroden öffentlichen Gebäude, für bessere Infrastruktur sichert und schafft unmittelbar Arbeitsplätze vor Ort. Wichtig ist auch die Versorgung mit schnellen Breitband-Internetverbindungen gerade auf dem Land: Ohne diese können Unternehmen dort keine neuen Jobs schaffen.

Viele Städte werden sich das nicht leisten können - sie müssen sogar neue Schulden machen, nur um ihre Mitarbeiter bezahlen zu können.

Viele Kommunen haben vom Aufschwung der letzten Jahre wenig gesehen, stimmt. Gewonnen haben insbesondere Städte in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Wir brauchen deshalb ein Hilfspaket speziell für notleidende Kommunen, die nicht in der Lage sind, einen Eigenanteil zu leisten; und zwar möglichst schnell: Unterstützung erst 2010 wäre angesichts der Krise zu spät.

Fürchten Sie nicht, damit in den SPD-Bundestagswahlkampf hineingezogen zu werden?

Nein. Die SPD ist eine Regierungspartei. Die Städte und Gemeinden müssen versuchen, die Bundesregierung von ihren Vorstellungen zu überzeugen, wie man der Rezession begegnen kann.

Hilfe brauchen besonders Städte in Krisenregionen. Manche sitzen auf Schuldenbergen in Milliardenhöhe, die in der Rezession weiter wachsen dürften. Haben diese Kommunen überhaupt noch eine Chance, sich aus eigener Kraft aus dieser Falle zu befreien?

Es gibt in vielen Regionen Städte und Gemeinden mit sogenannten strukturellen Defiziten. Das heißt: Allein kommen die aus der Schuldenfalle nicht mehr heraus. Das liegt aber vor allem daran, dass Bund und Länder über Jahre Wohltaten verteilt haben, die wir dann bezahlen mussten, etwa bei den Sozialleistungen, beim Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und bei der Grundsicherung im Alter. Deshalb beharren wir auf dem sogenannten Konnexitätsprinzip: Bund und Länder dürfen den Städten und Gemeinden nur dann neue Aufgaben übertragen, wenn sie auch dafür bezahlen.

Erste Bürgermeister im Westen fordern bereits das Ende des Solidarpakts Ost.

Wir beobachten seit Jahren einen besorgniserregenden Trend: Arme Städte werden ärmer, die Reichen reicher. Darüber müssen wir reden. Wir brauchen einen Pakt für alle strukturschwachen Kommunen.

An den scheinen viele Kämmerer nicht mehr zu glauben. Herrscht bei vielen nicht Resignation?

Wenn vielen graue Haare wachsen, kann ich das gut verstehen. Denn fast allen Städten und Gemeinden droht angesichts der Krise jetzt auch noch ein massiver Einbruch ihrer wichtigsten Einnahmequelle, der Gewerbesteuer.

Müssen Bund und Länder also dauerhaft auf Einnahmen zugunsten der Städte und Gemeinden verzichten? Brauchen wir eine neue Finanzverteilung?

Das ist unvermeidbar. Aktuell stehen die Kommunen bei der Verteilung von Einnahmen und Steuern an letzter Stelle - und den Letzten beißen die Hunde. Dabei sind wir der Ansprechpartner der Bürgerinnen und Bürger, sichern mit Kinderbetreuung, Schulen, Bildungs-, Freizeit- und Sportangeboten direkt die Lebensqualität vor Ort. Langfristig brauchen deshalb Städte und Gemeinden in strukturschwachen Gebieten, sei es im Ruhrgebiet oder in vielen ländlichen Räumen, eine nachhaltige finanzielle Hilfe. Darauf müssen sich Bund und Länder endlich verständigen.

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