Stadtwerke-Chefin über die Energiewende: „Wir hoffen auf Habeck“
Die Chefin der Berliner Stadtwerke, Kerstin Busch, im Interview über teure Neukunden, Windkraft mit Abstand und Solarkraft auf dem eigenen Dach.
taz: Frau Busch, die Energiepreise steigen und steigen – Sie haben deshalb zuletzt Ihren KundInnen eine Preisgarantie angeboten. Was hat es damit auf sich?
Kerstin Busch: Wir hatten erst 2021 ein neues Tarifmodell mit unterschiedlichen Laufzeiten eingeführt, gegen Ende des Jahres mussten wir allerdings – wie fast alle anderen Erzeuger auch – wegen der Entwicklung auf dem Strommarkt unseren Bestandskunden schon eine Preiserhöhung mitteilen. Wir haben ihnen aber folgendes Angebot gemacht: Wenn sie bei uns bleiben, erhalten sie als Treuebonus einen zwar erhöhten, aber dennoch etwas günstigeren Tarif als der für Neukunden. Außerdem bleibt dieser Tarif stabil, wenn sie sich für ein oder zwei Jahre darauf festlegen. Bei den derzeitigen Turbulenzen am Strommarkt war das ein attraktives Angebot und wurde recht gut angenommen.
Ist es nicht ein wirtschaftliches Risiko für Sie, solche Verträge anzubieten? Die Einkaufspreise können doch auch noch kräftig weitersteigen?
Wir haben ja entsprechend vorgesorgt, indem wir langfristig garantierte Strommengen für unsere Bestandskunden am Markt gekauft haben. Dabei haben wir eine bestimmte Entwicklung der Kundenzahlen prognostiziert und uns entsprechend eingedeckt. Kommen mehr Neukunden zu uns, als wir erwartet haben, dann müssen wir für sie zusätzlich einkaufen und sind dann auch von der aktuellen Preis-Rallye betroffen.
Kerstin Busch
leitet als Sprecherin der Geschäftsführung seit April 2019 das landeseigene Energieunternehmen Berliner Stadtwerke.
Sie mussten den Preis erhöhen, weil Sie zu viele neue KundInnen hatten?
Zu viele kann man nie haben, sagen wir: unerwartet viele gerade jetzt. Wir haben allein im vergangenen Jahr rund 8.000 neue Kunden gewonnen. Wenn der Strompreis, den wir am Markt bezahlen müssen, wieder sinkt, werden wir die Neukundentarife natürlich auch wieder nach unten anpassen. Aktuell berechnen wir pro Kilowattstunde für Neukunden rund 38 Cent, das liegt im Durchschnitt der Stadtwerke in Deutschland.
Vor einigen Jahren gehörten Sie noch zu den preisgünstigsten Anbietern insgesamt.
Wir vergleichen uns lieber mit klassischen Ökostromanbietern wie Greenpeace, Naturstrom oder Lichtblick und anderen, die derzeit zwischen 40 und 42 Cent pro Kilowattstunde liegen. Im Übrigen haben im Januar viele Anbieter aufgrund der aktuellen Situation gar keine neuen Kunden mehr angenommen – die stellen einfach ihr Webportal aus.
Die Berliner Stadtwerke sind ein 100-prozentiges Landesunternehmen, das mit Ökostrom handelt und ihn zunehmend auch selbst produziert. Gegründet wurden sie als Tochter der ebenfalls landeseigenen Wasserbetriebe im Jahr 2014 – ein Jahr zuvor hatte das Abgeordnetenhaus den Senat mit der Gründung eines Energiedienstleisters beauftragt.
Mittlerweile beliefern die Stadtwerke über 30.000 Haushalte mit Strom aus erneuerbaren Energien. Erzeugt wird der mit Windrädern (51,45 MW, ab März 68,55 MW verfügbare Leistung) und Photovoltaik mit 22,11 MWp installierter Leistung, das meiste davon auf Dächern und Anlagen von Pachtkunden wie Bezirken oder Hochschulen. (clp)
Auch Sie verzichten zurzeit auf Werbekampagnen.
Ich denke, wir sind durch unsere Projekte in der Stadt trotzdem sehr präsent, durch den Bau neuer Windkraftanlagen oder unsere Quartiersprojekte. Da braucht es im Moment keine großen Werbebudgets. Die Leute nehmen wahr, dass wir die Energiewende vor Ort vorantreiben, dass wir den Strom nicht hauptsächlich von außen kaufen, sondern auch vor Ort produzieren und einspeisen.
Trifft es zu, dass Sie derzeit mehr Strom produzieren, als Sie an Ihre Kunden verkaufen können?
Wenn wir über private Endkunden reden, ist das bilanziell so. Aber wir versorgen ja auch das Land Berlin. Die öffentlichen Verwaltungen beziehen derzeit ungefähr 700 Gigawattstunden im Jahr – also 700 Tausend Kilowattstunden. Damit ist das Land ein Kunde, für den wir lokal selbst wohl nie genug eigenen Strom werden produzieren können.
Spätestens zum Jahreswechsel 2022/23 fällt die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) komplett weg. Was bedeutet das für die Stadtwerke, die ja ausschließlich Ökostrom verkaufen?
Das ist in erster Linie für unsere Endkunden relevant, denn die EEG-Umlage ist ein Teil der Abgaben und Umlagen, die sich im Strompreis summieren. Der Bund hält die EEG-Umlage durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt schon seit Jahren niedrig, und wenn sie gar nicht mehr erhoben wird, werden wir die Endkunden anschreiben und ihnen mitteilen, dass wir diesen gesetzlichen Vorteil an sie weitergeben. Die Einspeisevergütung für uns als Produzenten von Strom aus Erneuerbaren Energien fällt deswegen aber nicht weg. Die wird komplett aus dem Steuersäckel beziehungsweise aus den geplanten Energie- und Klimafonds bezahlt.
Die Stadtwerke arbeiten viel mit „Mieterstrom“, sprich: sie erzeugen Strom aus Photovoltaik auf Gebäuden von Wohnungsbaugesellschaften oder Genossenschaften, der dann nach Möglichkeit direkt von den MieterInnen genutzt wird. Dafür gibt es staatliche Zulagen. An dem Modell gibt es grundsätzlich viel Kritik, vor allem für kleinere Vermieter scheint sich der bürokratische Aufwand kaum zu lohnen. Ab welcher Größenordnung lohnt es sich für Sie?
Auch für uns und die Eigentümer, mit denen wir kooperieren, ist dieses Modell erst ab ungefähr 100 Mietern machbar, wegen der hohen Fixkosten und dem administrativen Aufwand, der damit verbunden ist. Da hat der Bund bislang leider versäumt, die Regularien zu vereinfachen. Unser Ziel ist es, bei den einzelnen Projekten möglichst viele Mieter zu erreichen, und da evaluieren wir das Potenzial natürlich im Vorfeld.
Und was passiert, wenn zu viele MieterInnen nachträglich den Anbieter wechseln? Das steht denen ja immer frei.
Auch dann kann sich der Eigenverbrauch des lokal erzeugten Stroms weiterhin lohnen – entweder der Gebäudeeigentümer hat noch Bedarf für den sogenannten Hausstrom, oder er baut vielleicht noch eine Ladestation, an der die Mieter ihre E-Autos laden können. Da gibt es einige Möglichkeiten.
Nach dem neuen Berliner Solargesetz müssen bis Ende 2024 auf allen geeigneten Dächern öffentlicher Gebäude Solarmodule installiert werden. Ab 2023 gilt auch die Pflicht für Private, bei Neubauten und Dachsanierungen Photovoltaikanlagen zu bauen. Betrieben werden können die auch von Dritten. Kommt da eine große Welle auf Sie zu?
Auf jeden Fall. Allein auf den Dächern der Landes- und Bezirksverwaltungen gibt es noch ein Potenzial für Photovoltaik mit rund 600 Megawatt Leistung. Und auf allen Berliner Dächern zusammen sind erst 125 Megawatt installiert. Von allem, was in den letzten fünf Jahren neu gebaut wurde, haben wir als Stadtwerke allein gut 40 Prozent realisiert. Da muss also noch eine Menge passieren. Für uns ist das eine willkommene Herausforderung, und wir haben auch schon jetzt Absichtserklärungen mit den Bezirken über die Installation von 30 Megawatt abgeschlossen. In den vergangenen Jahren mussten wir die Bezirksämter noch überzeugen, jetzt gibt es einen gesetzlichen Auftrag, und wir sind sehr gut dafür aufgestellt. Ganz alleine können wir das natürlich nicht leisten.
Laut ihrer Website betreiben die Berliner Stadtwerke demnächst 16 eigene Windräder und halten eine Beteiligung an einem Windpark. Zusammen macht das schon mehr als 68 Megawatt Leistung, womit rechnerisch 56.000 Haushalte versorgt werden können. Werden Sie auch in Berlin noch mehr Windräder bauen?
Wir schauen uns gerade jetzt Potentialflächen in Berlin an. Allerdings sind hier im Gegensatz zu Brandenburg keine Flächen eigens für Windkraft ausgewiesen, und wegen der dichten Besiedlung und dem Schutzstatus der Waldflächen ist kaum noch etwas möglich. Aber im Berliner Umland stehen auch etliche ältere Windräder, einige davon auch auf den Flächen der Stadtgüter, die dem Land gehören. Bei denen werden wir auch die Möglichkeit zum Repowering nutzen, das heißt, wir ersetzen diese alten Windräder durch leistungsfähigere.
Die Brandenburger Landesregierung hat gerade ein Gesetz beschlossen, nach dem Windräder nur noch mit 1.000 Meter Abstand zur nächsten Wohnbebauung errichtet werden dürfen. Das schränkt auch Ihren Spielraum weiter ein.
Ja, wir hoffen da auch auf Bundeswirtschaftsminister Habeck, dass bei der Genehmigung einiges vereinfacht wird – etwa dass pro Anlage eine geringere Fläche ausgewiesen werden muss. Zurzeit dauern die Genehmigungsverfahren für eine Windkraftanlage im Schnitt vier bis sechs Jahre!
Mittlerweile gehört das Stromnetz in Berlin wieder der öffentlichen Hand. Was ändert sich dadurch für Sie?
Wir brauchen den Netzbetreiber sehr, denn nur er kann unsere neuen Anlagen mit dem Netz verbinden. Rein formal ändert sich jetzt erst einmal nichts, es gibt keine Bevorzugung der Stadtwerke durch das Stromnetz. Andererseits ist es für unsere Projekte natürlich gut, einen engeren Draht und eine schnellere Kommunikation zu haben. Das ist ja auch das erklärte Ziel der Politik, die Berliner Energiewelt enger zusammenwachsen zu lassen. Die Ablösung des Stromnetzes von seinem privaten Eigentümer wird in jedem Fall einen großen Mehrwert für die Stadt haben.
Eine Frage noch: Warum haben die Stadtwerke eigentlich keine Photovoltaik auf dem eigenen Dach?
(lacht) An unserem Unternehmenssitz am Köllnischen Park sind wir Mieter, insofern haben wir das am Ende nicht in der Hand. Wir haben natürlich mit unseren Vermietern darüber gesprochen, allerdings wurde das Dach gerade erst ausgebaut, deshalb konnte bislang keine Photovoltaikanlage installiert werden. Ich verweise aber gerne auf unser Mutterunternehmen, die Berliner Wasserbetriebe. Die betreiben auf ihren Flächen und Gebäuden schon jetzt etliche sehr große Anlagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich