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Stadtprotokoll„Die Stadt gehörte uns“, sagt Förderschullehrerin Johanna Müller

Ich bin 2007 in die Stadt gekommen, um Förderschullehramt zu studieren. Aufgewachsen bin ich in Crimmitschau bei Zwickau. Zuerst habe ich in einem Studentenwohnheim gelebt, nach einem Semester habe ich in der Nähe des Bahnhofs eine WG gegründet. Ich hatte ein großes Zimmer mit wunderschön verzierten Flügeltüren, Stuck und Fischgrätparkett – für 180 Euro.

Im Schnitt bin ich alle zwei Jahre umgezogen, und das ist nicht mal viel für Leipziger Verhältnisse. Ich kenne einige, die das jedes Jahr gemacht haben. Um den Preis zu halten, musste man allerdings immer ein Stadtviertel weiter raus.

Egal wie oft man umgezogen ist, jedes Mal standen alle deine Freunde auf der Matte. Wir waren eingespielt: Die einen schmierten Berge von Schnitten, während andere Kisten schleppten oder die Fahrräder von A nach B fuhren. Nach zwei Stunden schuften, warteten Würstchen, Kartoffelsalat und jede Menge Bier in der neuen Wohnung.

Die Stadt hatte das perfekte Verhältnis von upcoming Hipstertown und authentischer Oststadt. Westdeutsche Investoren fingen zwar an, die Stadt aufzuwerten, aber ansonsten hatten wir das Gefühl, dass die Stadt uns gehört – den Künstlern, den Studenten, den Start-ups. Kulturell und gastronomisch legte Leipzig zu, man ging zu illegalen Raves im Park, es wurden Flohmärkte auf irgendwelchen Brachen aufgezogen. Wir haben den Aufwind gespürt, aber nicht die negativen Folgen.

2013 fing dieses Bild an zu bröckeln. Ich wohnte im schönen Schleußig, eine WG war ausgezogen, und ich traf im Hausflur auf einen Hamburger, der die Wohnung gekauft hatte und dort einzog. Sein Ferrari parkte vor der Tür, er war der Inbegriff der Schnöseligkeit. Und Schnöseligkeit passt überhaupt nicht zu Leipzig. Ich dachte: Scheiße, jetzt verlieren wir das Viertel.

Diese Entwicklung hat sich fortgesetzt, und ich bin da hin und her gerissen. Die Leute sollen wissen, dass Leipzig kein hässlicher Fleck im Osten ist, wenn sie es wissen, kaufen sie uns die Wohnungen weg. Zum Glück gibt es immer noch Viertel, die viel Raum zum Entfalten lassen.

Weil ich in Leipzig keine Stelle gefunden habe, pendle ich nach Halle. Natürlich liegt es auch an meinen Freunden, dass ich nicht weg will, aber nicht nur. Leipzig ist, egal wie ich drauf bin, immer irgendwie passend. Es hat die Fähigkeit, mich so zu akzeptieren, wie ich gerade bin, und Atmosphären anzubieten, in denen ich mich wohlfühle. Deswegen liebe ich die Stadt so.“

Aufgezeichnet von Katharina Müller-Güldemeister

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