Stadtplaner kritisiert Wachstumspolitik: „Tourismus ist kein Selbstzweck“
Die ökonomische Bedeutung des Tourismus rechtfertigt keine Wachstumspolitik um jeden Preis, sagt der Berliner Stadtplaner Johannes Novy.
taz: Herr Novy, am Oranienplatz eröffnet bald ein neues Hotel. Wann ist denn in Kreuzberg Schluss mit lustig?
Johannes Novy: Wenn Sie mich fragen, ist schon längst Schluss mit lustig. Auch wenn einzelne Vertreter der Tourismuswirtschaft und des Senats noch so oft wiederholen, Berlin bräuchte noch mehr solcher Bettenburgen: viele darunter sind weniger tatsächlichem Bedarf als vielmehr einem knallharten Wettbewerb um Gewinne und Marktanteile geschuldet. Dabei lassen insbesondere große Hotel- und Hostelbetreiber kräftig die Muskeln spielen.
Vor einiger Zeit waren die Kreuzberger Grünen noch die Avantgarde bei der Frage: Wie viel Tourismus brauchen wir? Nun genehmigt der Bezirk ein Hotel nach dem anderen.
Ich bin mit den Details nicht vertraut, vermute aber, dass dem Baustadtrat die Hände gebunden waren und das Hotel baurechtlich nicht zu verhindern war.
Welche Möglichkeiten gibt das Baurecht, neuen Hotels die Genehmigung zu verweigern?
Insbesondere in Misch- und Kerngebieten ist es wegen der gültigen Baunutzungsverordnung sicher schwierig, Hotelprojekten die Genehmigung zu verweigern. Aber auch in reinen Wohngebieten lassen sich Beherbergungsbetriebe nicht ohne weiteres verhindern, wie wir in Friedrichshain-Kreuzberg in den vergangenen Jahren gesehen haben. Andererseits ist es aber auch nicht so, dass es gar keine Handhabe geben würde. Milieuschutzsatzungen eröffnen zusätzliche Möglichkeiten der Einflussnahme. Auch mit Bebauungsplänen können ungewünschte Entwicklungen verhindert werden.
geboren 1977, ist Stadtplaner und forscht an der TU Berlin unter anderem über Tourismus.
Bei Einkaufszentren regelt das ein entsprechender Stadtentwicklungsplan. Braucht Berlin auch einen Stadtentwicklungsplan Tourismus?
Ich denke schon – auch wenn man die Erwartungen an einen solchen Plan nicht zu hoch hängen darf. Bei der gegenwärtigen Entwicklung der Berliner Einzelhandelslandschaft drängt sich ja auch nicht gerade der Eindruck auf, dass diese „nach Plan“ verläuft. Auf jeden Fall sollten wir bereits vorhandene Instrumente nicht aus den Augen verlieren. Denken Sie an die Hotelghettos, die rund um den Hauptbahnhof oder nördlich des Alexanderplatzes im Entstehen sind. Es hätte keinen Hotelentwicklungsplan gebraucht, um dort etwas anderes entstehen zu lassen – wenn man nur gewollt hätte.
Sie sagen, der Tourismus ist nur erfolgreich, wenn Touristen Bewohnern willkommen sind.
Zumindest ist es für die Tourismuswirtschaft nicht gerade förderlich, wenn die Akzeptanz gegenüber Touristen abnimmt. Ich finde aber einen anderen Aspekt viel entscheidender: Die Förderung des Tourismus ist kein Selbstzweck. Auch seine ökonomische Bedeutung ist noch lange keine Rechtfertigung für die Wachstum-um-jeden-Preis-Politik, die in den vergangenen Jahren gemacht wurde.
Berlin gilt als coole Stadt. Wie lange bräuchte es, bis sich herumgesprochen hat, dass das ein Bild von gestern ist?
Das spricht sich rum. Denken Sie nur an den vor einigen Monaten im US-Magazin The Baffler erschienenen Artikel „Sacking Berlin. How hipsters, expats, yummies, and smartphones ruined a city“. Einfluss auf die Besucherzahlen werden solche Abgesänge auf Berlin wohl nicht haben – dafür dürfte alleine das zu erwartende Besucherwachstum aus Schwellenländern wie China, Russland oder Indien sorgen. Aber zu denken geben sollten sie uns. INTERVIEW: UWE RADA
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