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StadtmitteTür zu, es zieht!

■ Die Hauptstadt Berlin wird kein Hochsicherheitstrakt

Da wird also an mich die Frage gestellt, ob der schreckliche Mord an kurdischen Politikern der Beginn einer Schreckensvision für die zukünftige Regierungsstadt Berlin sei. Es wird gefragt, wie Berlin aussehen wird, wenn die Hauptstadt ständig internationale Konferenzen, Regierungsdelegationen und Botschafter etc. beherbergt. Wird Berlin das blutige Dorado internationaler Geheimdienste? Werden die armen Berlinerinnen und Berliner zukünftige Opfer der notwendigen Sicherheitsmaßnahmen oder sogar in einem Hochsicherheitstrakt leben? Es sind törichte Fragen. Diese Fragen sind mit Ausdruck eines in die Zukunft gerichteten Selbstmitleids: »Die böse Welt bricht in unsere Schrebergärten ein; Tür zu, es zieht!«

Wenn hin und wieder Konflikte anderer Regionen in unseren Breiten ausgetragen werden, hat das manchmal auch mit der multikulturellen Gesellschaft und mit der notwendigen Aufnahme von politisch Verfolgten aus Krisengebieten zu tun. Gerade das kurdische Problem hat in den letzten zehn Jahren erhebliche Opfer auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gefordert. Vom Geheimdienst gesteuerte Anschläge lassen sich übrigens kaum durch Sicherheitsmaßnahmen stoppen, da helfen nur internationale Repressionen auf die Staaten, die die Anschläge begünstigen oder sogar unterstützen. Diese Repressionen können übrigens wirken.

Von Staaten initiierte Flugzeuganschläge und Entführungen, die Mitte der siebziger bis Mitte der achtziger Jahre in Mode geraten waren, sind inzwischen überwiegend durch internationalen Druck zurückgedrängt worden. Gleichwohl wird die internationale Politik Anschläge, die von Staaten gesteuert werden, nicht vollständig verhindern können. Die Morde an den kurdischen Politikern gleichwohl als Menetekel der Hauptstadtfunktion Berlins zu begreifen, ist wirklichkeitsfremd. Derartige Anschläge finden eher an jedem x-beliebigen Ort statt als gerade in Hauptstädten.

Im übrigen Paris: eine Regierungs- und Weltstadt, die alles andere als ein Hochsicherheitstrakt ist. Selbst London, das immer wieder mit IRA-Anschlägen fertig werden muß, wird nicht von Sicherheitsmaßnahmen dominiert. Die traditionellen Welt- und Hauptstädte schaffen es meist, ziemlich diskret internationale Tagungen und Konferenzen (und die eigene Regierung) zu schützen. Das Drama beginnt eher dort, wo die internationale Politik in die Provinz einbricht (siehe München, G7-Gipfel oder Berlin, IWF-Tagung vor Jahren). Gerade große Provinzstädte neigen aus Mangel an Internationalität zu neurotischem Verhalten: Überzogene Sicherheitsmaßnahmen der örtlichen Instanzen korrespondieren mit merkwürdig überzogenem Demonstrations- und Protestverhalten, nach dem Motto: »Unheimliche Begegnung der dritten Art«.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß auch in Deutschland Politiker, Polizei und Bevölkerung es lernen können, künftig in einer Regierungs- und Weltstadt zu leben. Sicherheitsbedürfnisse und -maßnahmen orientieren sich viel weniger an den objektiven Sicherheitslagen als viel eher an der Gesamtbefindlichkeit in einem Staat (oder in einer Stadt). Gerade die Befindlichkeit unterscheidet uns auch von anderen Ländern und Weltstädten. Das Leben in einer Regierungs- und Weltstadt als Dauerzustand ist wahrscheinlich nach einem Gewöhnungsprozeß (auch unter Sicherheitsaspekten) einfacher zu gestalten und zu ertragen, als gelegentlich nur diese Rolle spielen zu müssen.

Getröstet seien die, denen die Perspektive Berlins trotzdem nicht gefällt. Es dauert ja noch viele Jahre, bis wir Welt- und Regierungsstadt sind. Die Öffnung des Brandenburger Tors und die Straßenbahn auf der Oberbaumbrücke werden noch lange unsere volle Aufmerksamkeit beanspruchen können. Gerd Wartenberg

Berliner Bundestagsabgeordneter für die SPD

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