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■ StadtmitteVerrat auf akademisch

Zu irgendwelchen wissenschaftlichen oder technologischen Geheimnissen, die zum Arsenal der pathologischen Ost- West-Weltmachtkonkurrenz gehörten, hatte der unter Spionageverdacht verhaftete Berliner Politologie-Dekan Jacobsen mit einiger Sicherheit keinen Zugang. Insofern darf man davon ausgehen, daß das, was er da verraten hat oder haben soll, tatsächlich einigermaßen belanglos war. Denn was kann in den Papieren, die er da auf den Tagungen der reisenden Politik-Professoren-Schickeria aufgesammelt hat, was kann in den vertraulichen Materialien der BND-Stiftung Wissenschaft (!) und Politik, zu deren Dunstkreis er gehörte, was kann in den Reihen des deutsch-amerikanischen Akademiker-Klüngels, in dem er sich bewegte, was kann da schon an Weltbewegend-Gefährlichem verhandelt worden sein, das zu wissen der einen Partei Vorteile, der anderen Nachteile im Welt- Hegemonie-Wettkampf eingebracht haben soll.

Wer die Damen und Herren kennt, die das akademische Geschäft dieses transatlantischen und außenpolitischen Diskurses betreiben, die sich gegenseitig, großzügig honoriert, zu Tagungen einladen, um dann im vertraulichen dieses oder jenes Netz zu knüpfen, das ihnen eine wichtigtuerische Existenz an der Peripherie der Mächtigen erlaubt, der weiß, daß dies in der Regel vergleichsweise intellektuell eher bescheiden ausgestattete Figuren sind, so teuer auch ihre Namen gehandelt werden mögen. Und Professor Jacobsen war einer von ihnen: ein freundlicher, immer zuvorkommender Kollege, der, wissenschaftlich ein uninteressanter Mittelläufer, zielstrebig seine Aufstiegschancen ins Establishment als Wasserträger der politischen Klasse sah und wahrnahm. (Eben wegen der routinierten Durchschnittlichkeit seiner akademischen Produktion hatte ich in der Berufungskommission gegen diese Stellenbesetzung gestimmt.)

Strafrechtlich ist dies alles aber ohne Belang. Das Problem ist nicht, daß der Kollege Jacobsen uns verraten hat, sondern daß der „Verrat“ schon in den Facetten der Figur angelegt war, in den Strukturen eines solchen Wissenschaftler-Profils. Verraten wurde hier die Wissenschaft als intellektuell ehrliche, bescheiden-unbescheidene Wahrheitssuche, an eine „Wissenschaft“, die Herrschaftsinteressen, die der Macht und den Mächtigen dient. Jacobsen hat, und dies ist der strafrechtliche Vorwurf, den eigentlichen Verrat an der Wissenschaft zugunsten der „anderen Seite“ verübt. Er hat nicht, wie er sollte und nach außen hin wollte, unsere Regierenden, sondern die der Gegenseite bedient. Dafür wird er angeklagt. Der wirkliche Verrat liegt aber auf einer anderen, auf einer sichtbaren und zugleich sich im Mittelfeld seiner Disziplin der Internationalen Beziehungen verbergenden Ebene, dort nämlich, wo deren Protagonisten zu flankierenden Ideologen von Regierungsinteressen werden und sie darüber ihren Auftrag herrschaftskritischer Analyse mißachten. Dieser Verrat an Veritas – Justitia – Libertas aber war bekannt oder hätte bekannt sein müssen: der strafrechtlich verfolgbare ist nur die Fortsetzung jenes wissenschaftlichen Verrates mit anderen Mitteln. Ekkehart Krippendorf

Der Autor ist Hochschullehrer am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität.

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