piwik no script img

StadtmittePogrom oder Protest?

■ Was Soziologen und Politologen aus den rassistischen Ausbrüchen machen

Die Deutschen gelten allgemein als ziemlich obrigkeitstreu und lammfromm. Doch nach Ansicht einiger Soziologen und Politologen soll sich dies seit Anfang 1989 geändert haben. Seitdem, seit den ersten Wahlerfolgen „rechtsextremer“ Parteien soll eine Woge des Protestes über unser Land rollen. Wie das? Die „Republikaner“, die NPD, die DVU etc. sind nicht etwa faschistisch, sondern eigentlich ganz harmlose „populistische“ Protestparteien. Ihre Mitglieder und Wähler sind nicht etwa „rechtsradikal“ oder „rechtsextremistisch“, sondern nur leider etwas verwirrte „Protestwähler“. Diejenigen Personen, die seit fast zwei Jahren alles, was „irgendwie“ nicht so aussieht, wie der „normale“ Deutsche auszusehen hat, überfallen, schlagen und ermorden, sind nicht etwa Rassisten, sondern arme „marginalisierte“ (was immer das ist) „Opfer der Modernisierung“.

Dieser gemeingefährliche Unsinn wird nicht etwa von den Kohls und anderen „Staatsnotständlern“ verzapft, sondern von der die Medien beherrschenden Kaste der Soziologen und Politologen. Warum wird diese herrschende Meinung nicht in Frage gestellt? Vermutlich einmal deshalb, weil dieser Unsinn so unverständlich formuliert ist, daß er gar nicht als Unsinn erkennbar ist. Ein Beispiel: Claus Leggewie begründet seine Opfer-der-Modernisierung-These folgendermaßen: „In Industriegesellschaften, in denen starke soziale Anomie herrscht, wird Rechtsextremismus erstens zum ,normalen‘ soziokulturellen Phänomen, wobei sich zweitens das ,Le-Pen- oder Schönhuber-Phänomen‘ als Ausdruck eines fortschreitenden ,sozialen Bildungsverlustes‘ und damit als Beleg kollektiver Sozial- Pathologien deuten läßt.“

Doch es handelt sich nicht nur um die Unfähigkeit, sich klar auszudrücken. Gewisse Soziologen und Politologen können offensichtlich nicht anders. Sie müssen alle politischen Erscheinungen aus der gesellschaftlichen Struktur ableiten oder auf gewisse psychische, meist frühkindliche Störungen zurückführen. Sie leugnen die Wirksamkeit von rassistischen Ideologien und die Kontinuität des rassistischen Einstellungspotentials innerhalb der deutschen Bevölkerung.

Warum kommt es jetzt zu den rassistischen Ausbrüchen? Sicherlich auch wegen der allgemeinen Krise. Vor allem aber deshalb, weil die politischen Hemmschwellen systematisch gesenkt wurden. Die rassistisch gefärbte Kampagne, die gewisse Politiker und Medien gegen „Asylanten“ und „Zigeuner“ inszenierten, korrespondierte mit der rassistischen Einstellung innerhalb der Bevölkerung und führte zu einer wechselseitigen Eskalation. Vorläufiger Endpunkt waren die Pogrome von Hoyerswerda und Rostock. Wolfgang Wippermann

Der Autor ist Professor für Neuere Geschichte an der FU.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen