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StadtmitteAlexander und unsere Tassen

■ Das Eigentümliche an Obdachlosen, WagenburglerInnen, HausbesetzerInnen

Der Blick auf die wachsenden Gebilde, die einstmals Städte waren, zeigt uns, daß sie einem Menschen gleichen, der verzehrt wird durch krebsige Tochtergeschwulste. Vielleicht gibt es keinen Todestrieb; aber die Umstände, die tödlich wirken. Obgleich wir – wie alle, die je auf dem Pulverfaß saßen – so tun, als wäre alles unstörbar in bester Ordnung. Es ist wahrscheinlich einfacher, sich in seine eigene Eigentumswohnung zu setzen anstatt das mit anderen zu teilen. Du gibst einen Teil der Kontrolle an Deinem Eigentum ab. Das ist ein komplexerer Organisationsgrad. Das wird vollends deutlich, wenn ich mir überlege, was eigentlich als das Gegenteil des Daheimseins gelten könnte. Die Wohnung, so sehr sie zum Kastell, zum Fort zu werden vermag, in dem ich mich von der Welt abschließe, behält doch Fenster, und diese schauen auf die Stadt. Unsere Städte und unsere Wohnungen sind Produkte der Phantasie wie der Phantasielosigkeit. Da sie aus harter Materie bestehen, wirken sie wie Prägestöcke; wir müssen uns ihnen anpassen. Und das ändert unser Verhalten, unser Wesen.

Und hier, in der Küche, ist die Entwicklung gerade andersherum. Das sehen wir ja schon an den Tassen. Wenn Du eine Tasse kaputtmachst, wem sagst Du das? Der Unsinn ist, daß es über Generationen übertragen wird, denn das Eigentum ist nur wichtig, solange ich lebe. Und dann ist es ja auch schon ein Witz, und wenn ich tot bin, wem gehört's dann? Ich bin ja gar nicht mehr da, und das Ding ist trotzdem noch da. Pervers wird es, wenn das Eigentum vom Benutzerwert abstrahiert wird, wenn also uralte Tassen gar nicht mehr benutzt werden, sondern in der Vitrine stehen, und das Eigentum so'n statisch ekelerregender Begriff wird. Durchstreift man die oft reichen Einfamilienweiden, so bin ich überwältigt von dem Komfortgreuel, den unsere technischen Mittel hervorzubringen erlauben.

Wenn ich alleine wohne, kann ich auf meine Tassen achtgeben, damit da bloß nichts dran passiert. Dem Bauherrn ist gestattet, seine Wunschträume mit seiner Identität zu verwechseln. Ob ich jetzt Tassen sammle oder nicht, das ist Dir ja egal, solange in der Küche genügend Tassen sind für alle. Und wenn ich jetzt zum Tassenmakler werden würde und Ihr die Tassen nur noch über mich bekommt, dann fang' ich an, Macht auszuüben, weil ich sage, das sind meine. Und so sehe ich das auch mit dem Grund und Boden. Und dem Haus. Dies gilt es zu sehen, so bewertungsfrei wie irgend möglich. Nicht weil es nicht besser ginge – sondern weil man es nicht wagt, in neuen Konzepten zu denken, weil man die umstürzenden Konsequenzen der Wandlungen im gesamtgesellschaftlichen Prozeß weitgehend leugnet.

Was ich heute als mein Eigentum bezeichne, ist ja auch mit Waffengewalt zu dem geworden, was es ist. Sitzt einer zu Hause und kriegt täglich hunderttausend Mark. Sitzt einer und hat gar kein Zuhause, muß auf Ämter rennen, und kriegt im Monat fünfhundert Mark. Beide kriegen von der Gemeinschaft Geld. Einmal wird sie gezwungen, da gibt sie weniger – und einmal gibt sie hunderttausend freiwillig. Wir beobachten ein schroffes Nebeneinander von Rationalität und Selbstsucht. Es hängt ganz klar damit zusammen, daß wir leugnen, daß der Raum unteilbar ist. Daß wir den Raum eben teilen und glauben, Stücke herausnehmen zu können. Wenn diese Tasse jetzt mir gehört, leugne ich, daß sie im Raum der anderen steht. Wenn jeder von uns eine Tasse mit sich herumträgt, dann schränkt das wohl kaum jemanden ein. Wenn es aber enger wird in einem Raum, und jeder hat noch fünfzig Tassen dabei, so drückt es plötzlich. Dadurch, daß die einen Grund und Boden als Eigentum beanspruchen, wird es für die Verbleibenden enger. Der öffentliche Raum wird enger dadurch, daß Leute ihre Privaträume, sprich Autos, darauf parken. Es könnte sein, daß die Struktur dessen, was wir gewohnheitsmäßig noch Stadt nennen, sich so verändert, daß sie kein Biotop mehr für freie Menschen ist, sondern eine soziale Umwelt, aus welcher, wie früher aus der natürlichen, unbegreifliche Katastrophen – Kriege statt Seuchen – hereinbrechen. Hast Du noch alle Tassen im Schrank? WAWAVOX

Der Text stammt vom Kunstprojekt WAWAVOX im besetzten Haus Kastanienallee 77.

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