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StadtgesprächGrüne gegen Grüne

Wie eine Wiener Stadträtin und ein Investorenprojekt die eigene Partei in die Zwickmühle bringen

Ralf Leonhardaus Wien

Der Heumarkt in Wien, direkt hinter dem an der Ringstraße gelegenen Stadtpark, war lange Jahre Schauplatz von Freistilring-Wettbewerben. Die brutalsten Kämpfer ernten den meisten Applaus. Keinen Applaus gibt es für die Vorstellung, die die Wiener Grünen derzeit um den Heumarkt liefern. Sie setzen nicht nur die Rathauskoalition mit der SPÖ aufs Spiel, sondern beschädigen auch ihre künftigen Wahlchancen.

Objekt des Konflikts ist ein Hochhausprojekt neben dem Gelände des heutigen Eislaufvereins. Ein privater Investor, der Bürgermeister Michael Häupl nahesteht, will dort einen 66 Meter hohen Turm mit Luxuswohnungen errichten. Dem sind fünfjährige Vorbereitungen und ein Architekturwettbewerb vorausgegangen. Die Crux bei der Sache ist, dass dieser Bau mitten auf der Sichtachse vom barocken Schloss Belvedere auf den Stephansdom liegt und die Wiener Innenstadt ihren Status als Unesco-Weltkulturerbe kosten würde. Der sogenannte Canaletto-Blick, benannt nach einer Vedute des italienischen Landschaftsmalers Bernardo Bellotto (Canaletto) aus dem 18. Jahrhundert darf für die Unesco nicht durch hohe Gebäude verstellt werden. Das war allerdings auch der Stadt Wien bekannt, als die Kriterien für den Architekturwettbewerb ausgeschrieben wurden.

Maria Vassilakou, Vizebürgermeisterin und Planungsstadträtin der Grünen, unterstützt das Projekt mit dem Argument, es würde den Eislaufverein als Freizeitort für die Wiener Bevölkerung retten. Der geplante Bau sei architektonisch anspruchsvoll und von der ursprünglich geplanten Höhe ohnehin mit Rücksicht auf das Stadtbild einige Stockwerke hinunterdimensioniert worden.

Trotzdem bot Vassilakou der rebellischen Parteibasis an, sich in einer Urabstimmung zum Projekt äußern zu dürfen. Die Kritiker verlangen, dass das Hochhaus im Sinne der Unesco-Kriterien auf 43 Meter schrumpft. Das ist die Höhe des neben dem Eislaufverein gelegenen Hotels Intercontinental. Die Abstimmung vergangene Woche endete mit einem knappen Nein. Mit gerade 18 Stimmen Mehrheit brachten die Gegner des Vorhabens und ihre Vizebürgermeisterin in eine fatale Zwickmühle, aus der ein Ausweg noch dadurch erschwert wurde, dass Parteichefin Eva Glawischnig versprochen hatte, das Votum werde als bindend betrachtet.

Vassilakou stand also vor der Alternative, das Abstimmungsergebnis zu ignorieren oder dem Koalitionspartner gegenüber wortbrüchig zu werden. Im ersteren Fall würde sie gegen das eigene Parteistatut verstoßen und die Wiener Grünen spalten, im letzteren könnte sie die Koalition sprengen. Und der Investor hat nicht die Absicht, sich von den grünen Zerwürfnissen zu neuen Kompromissen drängen zu lassen. Die bisherigen, „unter Einhaltung aller demokratischen Spielregeln erzielten gemeinschaftlichen Planungsergebnisse“ stünden nicht zur Diskussion, so Wertinvest-Geschäftsführerin Daniela Enzi in einer schriftlichen Stellungnahme.

Seit Wochen ergehen sich die meisten Medien in Häme über die Grünen. Anfang April verstieß Eva Glawischnig die Parteijugend, die bei den bevorstehenden Hochschülerschaftswahlen in den Städten Graz und Linz eine andere als die offizielle grüne Liste unterstützen will. Jetzt drohen die Wiener Grünen mit dem Ringen um den Heumarkt ihre Koalitionsfähigkeit zu verspielen.

Bei einer Krisensitzung am Montag schloss Vassilakou einen Rücktritt aus und versuchte, die Verantwortung zu delegieren. Sie überlässt es den grünen Abgeordneten, nach ihrem Gewissen zu entscheiden, wenn die Abstimmung über die Flächenwidmung am 1. Juni stattfindet. Fraktionschef David Ellensohn gab sich in den Medien zuversichtlich, die erforderlichen Stimmen zusammenzubekommen. Allerdings sind derzeit drei der zehn Grünen-Abgeordneten entschlossen, von ihrem freien Mandat Gebrauch zu machen. Damit würde eine Stimme zur Mehrheit fehlen.

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