Stadtgespräch: Die Obstfrau muss weg
Wenn in Benin ein reicher Geschäftsmann regiert, haben es die armen Geschäftsleute schwer
Katrin Gänsler Aus Cotonou
Schon wieder ein rotes Kreuz entdeckt? In Benins Hafenmetropole Cotonou ist die Suche nach den gepinselten Zeichen zum Sport geworden. An der Terrasse des indischen Restaurants an der Ausgehmeile „Haie Vive“ prangt eins, auch an vielen Holzbuden in der Innenstadt, in denen bisher häufig Telefonkarten verkauft wurden. Auch die eine oder andere Bar wird schließen müssen: Das rote Kreuz droht es an.
Noch stärker betroffen sind die kleinen Läden an der Rue Aibatin. An der so oft verstopften Hauptstraße, zentrumsnah und dennoch einigermaßen erschwinglich, gab es bisher bis in die Nacht hinein so ziemlich alle: billige Handyimitate, Kleidung aus Asien, selbst gebaute Plüschsofas.
Fährt man jetzt hier entlang, so erschreckt man sich fast über die Leere. Hier sind zahlreiche Ladenbetreiber den Bulldozern schon vorausgeeilt, haben ihre Sachen zusammengepackt und und ihre Stände vorsorglich selbst abgerissen. Besser, als wenn die Stadtverwaltung im Morgengrauen kommt und alles niedermacht. Angekündigt worden war das Vorhaben im Oktober. Es gab jedoch Skepsis, ob es tatsächlich in diesem Ausmaß umgesetzt wird.
Von Staatsseite hieß es ja auch, dass man auf die „Mitarbeit der Bevölkerung“ setzt. An der Rue Aibatin kann das Madame Georgette – ihren vollen Namen möchte sie nicht nennen – nicht mehr hören. „Freiwillig ist hier niemand gegangen“, sagt die Frau, die bisher Obst verkaufte, ärgerlich. Viele Stände und Geschäfte hätte es schließlich über viele Jahre gegeben und die Bewohner hätten immer wieder investiert.
Doch trotz Unzufriedenheit und Unverständnis ist großer Widerstand gegen die Zwangsräumungen ausgeblieben. Was bleibt, sind die plötzlich breiten Bürgersteige. Die sind nämlich in den vergangenen Jahren immer weiter zugebaut worden, sehr zum Ärger von Patrice Talon. Er ist laut Forbes-Magazin der reichste Beniner und seit Ende März 2016 zudem gewähltes Staatsoberhaupt. Talon macht ernst und lässt aufräumen. Es handelt sich schließlich um öffentliche Plätze, die nicht zugebaut werden dürfen, findet er. Der Abriss ist weithin sichtbar – eine einfache Taktik, um zu zeigen: Hier passiert etwas.
Andere Städte in Westafrika haben das längst vorgemacht. In Malis Hauptstadt Bamako wurde die brutale Vorgehensweise beklagt, als es im August 2016 zu Räumungen einiger Bürgersteige kam. Nur wenig später machte es Niger nach. Jetzt sollen auch Benins Städte endlich etwas ordentlicher und aufgeräumter wirken.
Das ist gar nicht so einfach, denn Stadtplanung hat bisher so gut wie nie stattgefunden. Außerdem wächst die Bevölkerung Benins jährlich um etwa 2,75 Prozent. Rund zwei Drittel der Beniner sind jünger als 25. Sie brauchen Wohnraum, aber vor allem auch Arbeit. Geregelte Beschäftigungsverhältnisse gibt es aber kaum. Ob an Kreuzungen, auf Parkplätzen oder eben in selbst gezimmerten Ständen: Überall werden Kleinigkeiten verkauft, um irgendwie das Überleben zu sichern.
In Cotonou wird allerdings nicht zum ersten Mal geräumt. Vor dem Besuch von Papst Benedikt XVI im November 2011 wurden an den Hauptverkehrsstraßen und rund um das Stadion der Freundschaft – dort feierte der Papst seinen Abschlussgottesdienst – zahlreiche kleine Geschäfte abgerissen. Für den Besuch des Oberhauptes der katholischen Kirche sollte die Stadt hübsch und ordentlich aussehen. Dabei war Benedikt XVI nicht einmal 48 Stunden im Land und dürfte davon so gut wie nichts mitbekommen haben. Kritik gab es damals nicht, im Gegenteil: Endlich wird mal aufgeräumt, sagten viele.
Auch entlang der Strandstraße in Richtung Westen, der Route de Pêche, tauchten rote Kreuze auf, vorwiegend an kleineren Hütten. Geplant ist dort ein millionenschweres Projekt zur Ansiedlung mehrerer Hotels. Seit einigen Monaten spricht über die zeitweilig heftig diskutierte Idee aber niemand mehr. Warum auch? Die Kreuze in der Innenstadt und die Frage, ob der Laden an der Ecke morgen noch da ist, sind jetzt viel interessanter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen