Stadtgespräch: Apple an die Macht
Süße Ernte für die Grüne Insel: 13 Milliarden Euro, geteilt durch 4 Millionen Iren. Aber die Regierung ist sauer. Ist Irland ein Steuer- oder ein Bürgerparadies?
Ralf Sotscheck Aus Dublin
Geld allein macht nicht glücklich, findet die irische Regierungspartei Fine Gael („Stamm der Gälen“). Sie will die 13 Milliarden Euro nicht, die sie laut Urteil der EU-Kommission vom US-Multi Apple eintreiben soll, weil Irlands großzügige Steuerarrangements illegale staatliche Subventionen seien. Gegen den EU-Kommissions-Beschluss will die Regierung in die Berufung gehen.
Die Begründung sei recht abenteuerlich, findet John Meehan, ein Gewerkschaftsangestellter. „Die Regierung behauptet, dass es keine Bevorzugung gab, sondern dass Apple wie alle anderen multinationalen Konzerne behandelt wurde“, sagt er. „Das ist ein Eingeständnis, dass man im großen Stil Komplize der Steuerhinterzieher ist.“
Fine Gaels Problem ist, dass die Partei keine Mehrheit im Parlament hat, sondern auf die Unterstützung von sechs parteilosen Abgeordneten angewiesen ist. Und die sind durchaus nicht abgeneigt, das Geld zu kassieren. Zumindest aber fordern sie die Einberufung des Parlaments, um darüber zu debattieren. Außerdem soll untersucht werden, wie viel Steuern die rund tausend multinationalen Konzerne in Irland tatsächlich zahlen. Premierminister Enda Kenny drohte mit der Auflösung der Regierung und mit Neuwahlen, falls die Parteilosen stur bleiben. Am Freitagnachmittag lenkte er etwas ein: Er stimmte zu, die Abgeordneten am Mittwoch aus den Sommerferien zu holen – zwei Wochen früher als geplant.
Im Gegensatz zu den Politikern von Fine Gael, die durch ihre unpopuläre Austeritätspolitik gegen Kritik abgehärtet sind, fürchten sich die unabhängigen Abgeordneten davor, ihren Wählern erklären zu müssen, warum sie auf die 13 Milliarden von Apple verzichten wollen. Schließlich könnte man damit 20 Krankenhäuser bauen, was dem maroden Gesundheitssystem guttäte. Außerdem sind die Apple-Milliarden – wenn man die Zinsen hinzurechnet – genauso hoch wie Irlands Bildungsetat.
Die Frage, was mit dem Geld geschehen soll, bewegt die irische Nation. Im Radio wird stundenlang darüber mit den Hörern debattiert, im Fernsehen äußern sich Experten dazu. Und wenn es um Geld geht, ist jeder ein Experte. „Wir könnten uns das Geld doch teilen“, schlug Therese Keegan, eine Lehrerin in einer Dubliner Grundschule, nicht ganz ernst gemeint vor. „Dann bekäme jeder Einwohner mehr als 3.000 Euro.“ So manche Familie mit sechs Kindern wäre auf einen Schlag saniert.
„Die Regierung fürchtet ja nicht um Irlands Ansehen in der Welt, weil das Land von der EU-Kommission als Steuerparadies geoutet worden ist“, sagt sie, „sondern sie hat Angst, dass Irland bei den multinationalen Konzernen fortan nicht mehr als Steuerparadies gilt.“ Dann könnten sich die Multis, bei denen Steuern verpönt sind, auf der Grünen Insel plötzlich nicht mehr wohl fühlen. Finanzminister Michael Noonan meint, es sei, als ob man die Saatkartoffeln aufesse.
Der politische Kommentator Fintan O’Toole ist dafür, das Geld zu behalten, weil die Zeit der Steueroasen ohnehin bald vorbei sei und man deshalb keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Multis nehmen müsse. „Keine westliche Regierung ist so eng mit multinationalen Konzernen verbandelt wie Irland“, sagt er. Im Grunde könne man die Harfe durch einen Apfel als Staatswappen ersetzen.
Am Mittwoch sammelte die linke Partei „People Before Profit“ vor dem Dubliner Hauptpostamt, dem Hauptquartier der Rebellen von 1916, Unterschriften dafür, das Geld in den sozialen Wohnungsbau zu stecken. „Es würde reichen, um 86.000 Häuser zu bauen“, sagt der Sprecher der Partei, Kieran Allen. „Das würde die Obdachlosigkeit, die sich seit dem Crash 2008 vervielfacht hat, zumindest lindern.“ Innerhalb von zwei Stunden unterzeichneten Hunderte die Petition.
„Wir sollten das Geld zurückgeben“, meint hingegen John McManus, Leiter der Wirtschaftsredaktion bei der Irish Times. „Aber nicht an Apple. Wenn die 13 Milliarden jemandem gehören, dann den Menschen in den Dutzenden Ländern, aus denen Apple Geld nach Irland gesogen hat, um Steuern zu sparen.“ Lege man Widerspruch gegen die Forderung der EU-Kommission ein, würde das Geld für viele Jahre auf einem Sperrkonto verschwinden.
Wie auch immer die Sache ausgeht, eins scheint sicher: Die ohnehin wacklige Kooperation zwischen Fine Gael und den parteilosen Abgeordneten ist so schwer beschädigt, dass Neuwahlen unausweichlich sind. „Vielleicht könnte Apple-Chef Tim Cook kandidieren“, schlägt der Gewerkschafter Meehan vor, „damit das Volk über die 13 Milliarden abstimmen kann.“
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