Stadtgespräch: Flinten für alle
Ein Run auf Waffen ergreift Österreich. Kein Wunder: Die gesetzlichen Hürden sind lediglich psychologisch
Ralf Leonhard aus Wien
Wenn man an Österreich und Waffen denkt, dann kommen einem Hobbyjäger und Trachtenvereine wie die Tiroler Schützen in den Sinn. Niemand würde vermuten, dass im Acht-Millionen-Einwohner-Land fast eine Million legaler Schusswaffen registriert sind – konzentriert in den Händen von etwas mehr als 280.000 Erwachsenen. Und der Grad der Bewaffnung nimmt zu. Das Innenministerium meldete zuletzt, dass sich die Zahl der Waffenbesitzer innerhalb eines Jahres um elf Prozent gesteigert habe. Seit 1. Juli 2015 sind zusätzliche 63.544 Schießeisen über den Ladentisch gegangen.
Besonderer Beliebtheit erfreuen sich Schrotflinten, weil sie jede Person über 18 Jahre erwerben und besitzen darf. Von ihnen hängen heute 41 Prozent mehr als vor einem Jahr in Österreichs Haushalten. Einen Waffenpass, Jagdschein oder die Mitgliedschaft in einem traditionellen Schützenverein muss man nur nachweisen, wenn man damit das Haus verlässt. Für Amokläufer, die sich nach vollbrachter Tat gewöhnlich selbst erschießen, oder islamistische Fanatiker, die sich auf die Jungfrauen im Paradies freuen, dürfte diese Ausweispflicht von sekundärer Bedeutung sein.
Aber auch Faustfeuerwaffen, Repetierflinten und halbautomatische Schusswaffen, die nur mit Waffenpass oder Waffenbesitzkarte erworben werden können, werden verstärkt nachgefragt. Der Handel freut sich über einen Zuwachs von 6,9 Prozent. Das sind immerhin 25.000 Stück. Voraussetzung für die Ausstellung einer Waffenbesitzkarte ist ein positives waffenpsychologisches Gutachten. Allerdings kann der Antragsteller beliebig viele Psychologen konsultieren, wenn das erste Gutachten negativ ausfallen sollte. Deshalb haben die Behörden jüngst überlegt, die Gutachten meldepflichtig zu machen – ein Wunsch, der in offensichtlichem Widerspruch zum Datenschutzgesetz steht und dem die Standesvertretung daher entschieden entgegentritt.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die Erstellung der Gutachten wirklich zeitgemäß ist. Eine Frau schilderte jüngst dem Ö1-Morgenjournal, dass bei einem solchen Test Angaben zur Verdauung und sexuellen Neigungen abgefragt wurden. Sie musste auf einem Fragebogen ankreuzen, ob sie an die Wiederkehr Christi glaube, Stimmen höre oder gerne Blumenhändlerin werden wolle. Ein vertiefendes Gespräch habe nicht stattgefunden. Das Waffengesetz verpflichtet dazu auch nicht.
Die Frage, ob das angesichts einer echten Bedrohungslage durch psychopathische Einzelgänger und fanatisierte Dschihadisten wirklich die relevanten Daten sind, müssen sich die Psychologen gefallen lassen. Sandra Lettner, Präsidentin des Berufsverbandes der Psychologen, erinnert die Kollegen an ihre Pflicht, auf dem letzten Stand der Wissenschaft zu arbeiten: „Eine unserer Berufspflichten ist es, dass die Tätigkeit unmittelbar und höchstpersönlich auszuführen ist. Das bedeutet, dass ich schon sehr davon ausgehe, dass die Kollegenschaft natürlich auch ein persönliches Gespräch macht.“
Warum die Österreicherinnen und Österreicher aufrüsten, liegt auf der Hand. Sie fühlen sich unsicher. Der Zustrom von Zehntausenden Asylsuchenden im vergangenen Jahr hat dazu wesentlich beigetragen, obwohl die Polizei ausdrücklich festhält, dass unter den Geflüchteten nicht mehr Menschen straffällig werden als unter der einheimischen Bevölkerung. Und gegen sexuelle Zudringlichkeiten im Schwimmbad, die besonders häufig gemeldet werden, dürften weder Schrotflinten noch Handfeuerwaffen adäquaten Schutz bieten.
Die Glock Ges.m.b.H., Herstellerin der weltweit am meisten verbreiteten Faustfeuerwaffe, stellt sich dennoch inzwischen auf zunehmende Nachfrage durch weibliche Klientel ein. Die Glock 17 soll demnächst auch in Pink, Lila und Tiffany-Blau zu haben sein.
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