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StadtgesprächDas große Rätselraten

Österreich beschließt, den Zuzug von Flüchtlingen zu begrenzen. Wie das gehen soll, weiß kein Mensch

Was ist der Unterschied zwischen einer Obergrenze und einem Richtwert? Die österreichischen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP haben mit ihrer Festlegung auf eine Beschränkung des Flüchtlingszuzugs eine Debatte ausgelöst, die nicht nur innerhalb der Koalition reichlich Stoff für Polemik und Seitenhiebe liefert, sondern auch den Medien und der Bevölkerung Rätsel aufgibt.

37.500 Asylwerber will Österreich dieses Jahr aufnehmen, so der Beschluss auf einem Bund-Länder-Asylgipfel vergangene Woche. Noch immer hat aber niemand schlüssig erklären können, was mit dem 37.501. Flüchtling geschieht, der die Grenze überschreiten will. Sein Asylgesuch müsse selbstverständlich entgegengenommen und bearbeitet werden, meinen die meisten Vertreter der SPÖ in Einklang mit der Mehrheitsmeinung von Juristen. Er werde nicht mehr hereingelassen, versichert dagegen Innenministerin Johanna Mikl-­Leitner (ÖVP), die aber beharrlich ausweichend wird, wenn es um den Einsatz von Zwangsmitteln geht. Derzeit nimmt Slowenien den Österreichern die Vorauswahl ab. Durchgelassen werden nur diejenigen, die auf einem Formular ankreuzen, dass sie in Österreich oder in Deutschland um Asyl nachsuchen wollen.

Wie auf österreichischer Seite der Filter angesetzt werden soll, will die Regierung in den nächsten Wochen klären. Wiens Bürgermeister Michael Häupl, brachte das Zustandekommen der Einigung mit einer Gegenfrage auf den Punkt: „Verstehen Sie alle Verträge, die Sie unterschreiben?“

Wenn es nach so manchem Mitbürger geht, der in den Onlineforen der Tageszeitungen sein Unwesen treibt, dann wäre der Schießbefehl wünschenswert. Die Flüchtlingskrise hat in den Menschen die edelsten und gleichzeitig niederträchtigsten Seiten zum Vorschein gebracht.

Die einen versuchen mit ungebrochener Tatkraft Aufnahme und Integration von Kriegsflüchtlingen zu unterstützen, während die anderen sich in den sozialen Medien und am Stammtisch austoben. Zwar brennen in Österreich keine Flüchtlingsunterkünfte, doch die verbale Aggression einer qualifizierten Minderheit hat dafür gesorgt, dass das Wort „Willkommenskultur“ nur noch mit Spott und Verachtung ausgesprochen wird.

Deswegen gehen Politiker oft in die Knie, wenn sie den durch manche Boulevardmedien geschürten Volkszorn fürchten. Der vom Wiener Flüchtlingskoordinator Peter Hacker eingebrachte Vorschlag, Asylwerber mit einer Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel auszustatten, provozierte bei FPÖ und ÖVP Reflexe, die dieser Stimmung entsprechen. Hacker argumentiert mit Einsparungen bei der Verwaltung, denn Fahrscheine für Arztbesuche oder Behördenwege müssten derzeit einzeln abgerechnet werden. „Das ist ein völlig idiotischer Aufwand, weil jeder Fahrschein, der 2,20 Euro kostet, dann nochmal durch 15 Hände wandert.“

Im europäischen Wettlauf, das Land für Flüchtlinge möglichst unattraktiv zu machen, kämpft Österreich unter Federführung von Innenministerin Mikl-Leitner um die Poleposition. „Österreich hat jetzt eines der schärfsten Asylgesetze Europas“, verkündete sie vergangenen Dienstag nach dem Ministerrat stolz. Beschlossen wurde, dass Asyl nur noch auf drei Jahre gewährt und der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte verzögert wird. Das trifft vor allem Afghanen, die derzeit größte Flüchtlingsgruppe.

Die von der Politik stets eingeforderte „europäische Lösung“ scheint auf die Vergemeinschaftung der ungarischen Abschottungspolitik hinauszulaufen. Ungarns Regierungssprecher Zoltán Kovács pries bei einem Pressegespräch in Wien die Tugend von Zäunen und warnte, dass Österreichs neue Obergrenze wie ein Magnet wirken werde, weil sie das Signal aussende: Es gibt eine Chance.

Währenddessen ist der Andrang an der slowenisch-österreichischen Grenze in den vergangenen Tagen zurückgegangen. Allerdings führen das die Kenner nicht auf Österreichs verschärfte Asylpolitik zurück, sondern auf den Fährenstreik in Griechenland, feuchtkaltes Wetter und zunehmende Schikanen auf der Balkanroute.

Ralf Leonhard aus Wien

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