Stadtgespräch Ralf Sotscheck aus Dublin: Schnee und Eis überfordert die irische Bevölkerung. Chaos bricht aus, Schulen bleiben geschlossen und die Totengräber stellen ihre Arbeit ein
Seit einer Woche dominieren Katastrophenberichte in den irischen Medien. Dabei geht es nicht etwa um Waldbrände in Kalifornien oder Erdbeben in Tibet. Es geht um Schnee und Eis in Irland – Winter eben. Aber weil die Iren vom Golfstrom verwöhnt sind und die Temperaturen selten unter null sinken, kommt es zum Chaos, wenn dieses dann doch mal passiert. Der Winterdienst ist nämlich unterentwickelt. Wozu soll man teure Gerätschaften anschaffen, wenn es nur alle Jubeljahre schneit?
Die Meteorologin Aoife Kealy verkündet täglich im Fernsehwetterbericht mit besorgter Miene Schrecken und Chaos: Tausende Haushalte sind ohne Strom und ohne Wasser. Straßen sind unpassierbar. Busse und Bahnen haben den Betrieb eingestellt. Büros und Schulen sind geschlossen. Patienten müssen mit dem Hubschrauber zur Dialyse in die Krankenhäuser gebracht werden.
Der Wetterbericht nach den Abendnachrichten ist auch bei normaler Witterung eine feste Größe im Leben der Nation. Man verpasst ihn nur im äußersten Notfall. Er beginnt stets mit der meteorologischen Zusammenfassung des zu Ende gehenden Tages, obwohl man das Wetter ja selbst erlebt hat – es sei denn, man hält sich an den Dubliner Schriftsteller Jonathan Swift, der geschrieben hat: „Das Wetter ist sehr warm, wenn man im Bett ist.“
Jetzt gibt es neben dem Wetterbericht auch Sondersendungen im Fernsehen über die einstelligen Minusgrade, die das Ausmaß des Grauens genüsslich dokumentieren. Das Land stehe vor „sehr schwierigen und sehr herausfordernden Bedingungen“, sagte der Direktor der Notfall-Taskforce, Keith Leonard. Niemand könne momentan beerdigt werden, weil der Boden gefroren sei und die Priester nicht anreisen können. Die Leichname werden unter freiem Himmel gelagert, damit sie einigermaßen frisch bleiben.
So erging es auch einem Gerry Kennedy, der am vorigen Wochenende wegen der vereisten Straßen nach einem Kneipenbesuch nicht nach Hause fahren wollte und in seinem Wohnmobil übernachtete. Es war kalt, er ließ nachts den Motor laufen und starb an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
Die Irish Times hat die Leser aufgefordert, ihre Erlebnisse zu schildern: „Kälteeinbruch in Irland – wie hat es Sie getroffen?“ Noel Murphy, ein Landwirt aus der Grafschaft Kerry und Vorsitzender des Molkereirats, meldete sich und sagte, er habe noch nie eine so hohe Schneehöhe gesehen – bis zu sieben Zentimeter! Seine Nachbarin habe ihm erzählt, wie sie Schnee gesammelt und auf dem Gaskocher geschmolzen hatte, um Wasser zu gewinnen. Im Nachbarort kam die Bergrettung Menschen zu Hilfe. Vier Familien mit kleinen Kindern wurden von der Kerry Mountain Rescue aus ihren Häusern geholt, nachdem sie tagelang ohne Wasser und Strom waren.
Aoife Kealy gibt unterdessen bunte Wetterwarnungen heraus: von Gelb über Orange bis, wenn gar nichts mehr geht, hin zu Rot. Der Journalist Frank McNally von der Irish Times fühlt sich an den Satiriker Flann O’Brien erinnert, der in seinem Meisterwerk „Der dritte Polizist“ den Geist des alten Mathers seinem Mörder das Thema der Windfarben erklären lässt. Es gebe vier Winde und acht Unterwinde, jeder mit seiner eigenen Farbe, erklärt Mathers: „Der Wind aus dem Osten ist ein tiefes Violett, der aus dem Süden ein feines, glänzendes Silber. Der Nordwind ist ein hartes Schwarz und der Westwind ist bernsteinfarben.“ Eisig sind sie zurzeit alle.
Neben dem widrigen Wetter müssen die Iren auch noch Gehässigkeiten ertragen. Bisher haben Österreicher und Schweizer Irlands Berge als Unebenheiten verspottet, nun machen sie sich auch noch über die irische Wetterhysterie lustig. „Wenn es bei uns schneit, ziehen wir Winterreifen auf und fahren in echte Berge zum Skilaufen“, sagte einer. In Dublin gibt es hingegen nur eine Grasskianlage. Glücklicherweise werden die atlantischen Wetterfronten bis zum Wochenende Irland wieder erwärmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen