StadtgesprächJürgen Vogt aus Buenos Aires: 44 Seeleute, ein verschwundenes U-Boot und die Solidarität der Mütter von der Plaza de Mayo
Die finden es nicht. U-Boote soll der Feind ja auch nicht finden“, sagt Diego Iglesias und ordnet den Bestand an seinem Zeitungskiosk. Seit zehn Tagen bestimmt ein verschwundenes U-Boot die Schlagzeilen der ausliegenden Tageszeitungen. Seither erleben die ArgentinierInnen ein Wechselbad der Gefühle.
Mal wurden Telefonsignale aufgefangen, mal wurden bengalische Feuer gesichtet, dann wieder ein Rettungsboot gefunden. Was erst Hoffnungen weckte, wurde später wieder zurückgenommen: es stamme nicht von dem U-Boot.
Seit dem 15. November fehlt von der „ARA San Juan“ und seiner 44-köpfigen Besatzung jede Spur. Das U-Boot war in Ushuaia auf Feuerland ausgelaufen und sollte zu seinem Stützpunkt nach Mar del Plata zurückkehren, rund 400 Kilometer südlich von Buenos Aires. Unterwegs meldete das Boot einen Batterieschaden. Danach brach der Kontakt ab. Vorausgesetzt, es konnte nicht auftauchen, würde der Sauerstoff für eine Woche reichen. Die war vergangenem Mittwoch um.
„Gibt’s was Neues?“, fragt eine Frau mit Hund. „Jetzt heißt es, es wurde eine Explosion in der Nähe der letzten Funkverbindung registriert“, antwortet Diego Iglesias. „Und es soll auf 3.000 Meter Tiefe gesunken sein.“
Inzwischen beteiligen sich über zehn Länder an der Suchaktion, darunter auch Großbritannien. „Stell dir vor, die Engländer finden als Erste das Boot“, hebt Diego beschwörend die Hände und zeichnet die Umrisse der Malwinen-Inseln in die Luft, die als Falkland-Inseln von Großbritannien beansprucht werden und um die 1982 Krieg geführt wurde. „Das Wichtigste ist, dass es gefunden wird“, sagt die Frau mit dem Hund.
„Wir alle hoffen und bangen, dass die 44 am Leben sind. Dieses Hin und Her bei der Suchaktion macht uns allen zu schaffen“, sagt die Frau. In Wellen gehen Hoffnung und Beklemmung über das Land. Am Donnerstag erreichten sie die Plaza de Mayo. Auf ihrem traditionellen Rundgang solidarisierten sich die Mütter der Plaza de Mayo mit den Angehörigen der Besatzungsmitglieder. „Als Mütter von Verschwundenen kennen wir die Zerrissenheit aus Hoffnung und Ungewissheit“, so die Madres.
Längst sind die Namen der Besatzung bekannt, ihre Geschichten werden erzählt. Wie die von Eliana María Krawczyk, Lateinamerikas erste U-Boot-Offizierin. Die 35-Jährige befehligt den Waffenstand. Krawczyk stammt aus der nördlichen Provinz Misiones. Mit 21 Jahren hat sie das erste Mal das Meer gesehen.
Oder die des 25-jährigen Unteroffiziers Luis Niz und des 32-jährigen Leutnant Renzo Martin Silva. Beide waren frisch verlobt, ihre Liebsten sind wie fast alle Angehörigen in Mar del Plata versammelt, dem ursprünglichen Ziel der „ARA San Juan“.
Auch der U-Boot-Bauer hat sich gemeldet. „Wir solidarisieren uns mit der Besatzung und ihren Familien und hoffen von ganzem Herzen, dass das Unterseeboot bald gefunden wird“, so ein Sprecher von Thyssen-Krupp.
Die „ARA San Juan“ wurde als U-Boot der Klasse TR 1700 für den Export entwickelt und von den Thyssen Nordseewerken in Emden gebaut. Die Lieferung erfolgte erst 1985, aber der Deal wurde vor 1983 mit der damaligen Militärdiktatur gemacht, mit dem Segen der sozialliberalen Schmidt-Genscher-Regierung in Bonn.
„Die Militärs haben sich damals sogar sechs andrehen lassen“, erzählt Diego Iglesias. Zwei komplett und vier in Bauteilen. Die „San Juan“ und die „Salta“ seien im Einsatz. Die Bauteile für die anderen seien alle geliefert worden, aber in irgendwelchen Lagerhallen verrottet. Das wisse er von seinem Onkel, der habe auf einer Werft gearbeitet. „Aber ziviler Schiffbau“, hebt er den Zeigefinger. Wenn sein Onkel von den Zuständen auf den Werften erzählte, dann hätten sich ihm die Nackenhaare gesträubt. „Es sieht alles nicht gut aus“, seufzt Diego Iglesias.
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