piwik no script img

Stadtgespräch Helena Kreiensiek aus DakarVor über 80 Jahren beging Frankreich ein Kolonialverbrechen an afrikanischen Soldaten. Nun soll es dazu Ausgrabungen geben – oder doch nicht?

Stoßstange an Stoßstange schieben sich die Autos durch den Straßenverkehr von Senegals Hauptstadt Dakar. Es ist ein Samstagnachmittag, aber von Wochenendruhe kann keine Rede sein. Am Straßenrand werden Waren in Überlandbusse verladen, zwischen den im Stau stehenden Autos versuchen fliegende Händler ihr Glück mit dem Verkauf von Taschentüchern, Datteln und Scheibenwischern. Selbst Strecken von 10 Kilometer können vor allem im Feierabendverkehr unter der Woche Stunden dauern. Wer also dem Denkmal der „Tirailleurs“ im weiter außen gelegenen Stadtteil Thiaroye einen Besuch abstatten will, muss Zeit und Geduld mitbringen.

Dort, auf einem Militärfriedhof, wird an ein Massaker vor über 80 Jahren erinnert: Im Dezember 1944 wurden dort Dutzende afrikanische Soldaten, Tirailleurs Sénégalais, von der französischen Armee erschossen. Die Männer hatten zuvor für Frankreich im Zweiten Weltkrieg gekämpft und – nach gängiger Erzählung – lediglich den Sold eingefordert, der ihnen zustand. Das Massaker zählt zu den Schlimmsten der französischen Kolonialzeit in dem westafrikanischen Land. Die damaligen französischen Behörden gaben den Tod von 35 Personen bekannt. Doch Historiker zweifeln die Richtigkeit an und gehen von weitaus höheren Opferzahlen aus, teils ist von bis zu 400 Soldaten die Rede. Auch die Fragen des Warum, Wie und vor allem Wer sind noch immer offen.

Am 19. Februar hatte die senegalesische Regierung schließlich Ausgrabungen angekündigt, um „die ganze Wahrheit“ zu erfahren. Das Thema ist seit Jahren ein wunder Punkt in den schon belasteten Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. Dieser wird schon lange vorgeworfen, bewusst nicht zur Aufklärung beizutragen. Archivmaterial, das möglicherweise Aufschluss über die Zahl der Todesopfer geben könnte, ist bis heute nicht freigegeben worden.

Seit etwa zwei Wochen nun ist tatsächlich ein Team von senegalesischen Archäologen vor Ort, um die Gräber zu untersuchen.

Das sorgt für Gesprächsstoff: Als durchsickert, dass sich auf dem Gelände des Militärfriedhofs etwas tut, gibt es Spekulationen. Eine Lokalzeitung berichtet von schwer bewaffneten Soldaten, die das Gelände abgeriegelt hätten. Der ehemalige Erinnerungsort? Plötzlich Sperrzone. Die Ausgrabungen sind politischer Zündstoff. Je nach Ergebnis könnten sie das Bild Frankreichs noch weiter ankratzen.

Von den bewaffneten Soldaten, die den Militärfriedhof angeblich abgeriegelt haben sollen, ist an diesem Samstag nichts zu sehen. Ein junger Mann, der sich vor dem Eingangstor in den Schatten zurückgezogen hat, erzählt in aller Seelenruhe, dass bis auf Weiteres keine Besuche möglich seien. „Vielleicht nach Tabaski“, lautet die recht vage Antwort. Tabaski, auch bekannt als Eid al-Adha, ist das islamische Opferfest – einer der höchsten Feiertage im muslimischen Kalender. Die Schafe, die zu dieser Gelegenheit traditionell geschlachtet werden, stehen schon seit Wochen herausgeputzt an den Straßenrändern zum Verkauf. Wer es sich leisten kann, kauft sich eins, wer nicht, leiht sich Geld dafür.

Ein Blick durch die Tür des Militärfriedhofs bleibt an diesem Tag verboten. Aber ein paar Schritte weiter erlaubt das Gitter doch die Sicht auf die ordentlich ausgerichteten weißen Grabsteine. Ein Sandhaufen ist zu sehen und eine einzelne Leiter. Ob das nun die besagten Ausgrabungen sind, lässt sich nicht klar sagen. Vielleicht wird hier gerade Geschichte geschrieben. Vielleicht wird auch nur Sand umgeschichtet. Das Einzige, was das zuständige Komitee telefonisch bestätigt: Man arbeite an einem Bericht. „Ich weiß von nichts“, donnert es sonst bei jeder Frage durch das Telefon.

Noch ein letzter Blick auf das Tor des Denkmals. Dann geht es wieder ins Getümmel, vorbei an Straßenhändlern und Schafen, zurück in den Stau. Ein Besuch, der keine Antworten gebracht hat. Weiter spekuliert wird sowieso.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen