Stadtentwicklung: Köttbullar statt Karstadt-Ruine
Beim Bürgerentscheid Pro und Kontra Ikea geht es um die Frage, ob ein altes städtebauliches Problem mit einem Befreiungsschlag gelöst werden kann.
In Altona läuft der Countdown zu zwei Bürgerentscheiden über den Bau eines Ikea-Möbelhauses mitten im Bezirk. Die Befürworter erhoffen sich, dass das Möbelhaus die Große Bergstraße als Einkaufsmeile rettet und verhindert, dass dort eine riesige leere Ruine entsteht. Die Gegner befürchten, dass der zentral gelegene Stadtteil Altona Nord aufgewertet wird und dass alle, die wenig Geld haben, über kurz oder lang vertrieben werden. Damit ist der Ikea-Konflikt ein Kristallisationspunkt der Gentrifizierungsdebatte, die mit dem Streit ums Gängeviertel ihren vorläufigen Höhepunkt erlebt hat.
Die Initiative, die sich für das Möbelhaus stark macht, wird im wesentlichen von Geschäftsleuten aus der Straße getragen und von der Bezirks-CDU unterstützt. Sie hat bereits einen Bürgerentscheid erreicht, über den bis zum 19. Januar abgestimmt werden kann. Die Gegen-Initiative hat noch einige Wochen Zeit, genügend Unterschriften für einen Bürgerentscheid zu sammeln.
Wie verfahren wird, sollte der zweite Bürgerentscheid zu Stande kommen, ist offen. "Wir überlegen, ob wir bei einem deutlichen Ergebnis des ersten Bürgerentscheids den Senat bitten, zu evozieren", sagt der Altonaer CDU-Fraktionschef Uwe Szczesny. Das Projekt wäre dann Sache des Senats; ein zweiter Bürgerentscheid liefe ins Leere.
Das neue Ikea-Haus in der Großen Bergstraße wäre das dritte in Hamburg.
Die Verkaufsfläche von 25.000 Quadratmetern wäre auf vier hohen Etagen verteilt.
950 Parkplätze befänden sich auf vier Etagen darüber. Ikea erwartet, dass nur 60 Prozent der Kunden mit dem Auto kommen.
Der Bürgerentscheid Pro-Ikea stößt auf großes Interesse: Mitte der Woche hatten schon 39.000 Wahlberechtigte abgestimmt. Die Anti-Ikea-Initiative sammelt noch Unterschriften für einen eigenen Bürgerentscheid.
Problematisch daran ist, dass in den Unterlagen zum Pro-Ikea-Entscheid die übliche Alternativformulierung fehlt: Die Wähler können nur die Vision eines belebten und attraktiven Stadtteils bejahen oder ablehnen. Die Alternative hätte von der Bezirksversammlung formuliert werden können, die aber mit Ausnahme der Linken für Ikea ist.
Die Mehrheit der Bezirkspolitiker und die Pro-Ikea-Leute sehen in der Ikea-Ansiedlung eine Chance, das Problem Große Bergstraße mit einem Schlag zu lösen. Das Frappant, ehemals zentraler Teil des Einkaufszentrums Altona ist spätestens seit Mitte der 90er Jahre ein Problemfall. 1996 kam der vielstöckige 70er-Jahre-Komplex mit 47.000 Quadratmeter Läden, Büros und zwei Parkebenen unter den Hammer. Mehrere Versuche, ihn wiederzubeleben, sind gescheitert. Als letzter nennenswerter Mieter verließ Karstadt 2003 das Gebäude, in dem das Wasser durch die Decke tropfte.
Jahrelang wurde der Niedergang beklagt - bis ihn, zumindest gefühlt, ein Stadtentwicklungskniff stoppte. Das Planungsbüro Konsalt bot dem Musikclub Hafenklang Asyl und holte eine Hundertschaft KünstlerInnen in das Gebäude, die jetzt nicht mehr gehen wollen. Stattdessen ventilieren sie zusammen mit Stadtteilaktivisten Ideen, wie das Frappant nachbarschaftsfreundlich zu nutzen wäre: mit Wohnungen, Ateliers, einer Bibliothek und einem Spielplatz auf der Parkpalette.
Die Initiative "Kein Ikea in Altona" sieht das Projekt als Beginn einer Luxussanierung des Stadtteils. Das mehr als 30 Meter hohe kastenförmige Gebäude werde seine Umgebung noch stärker erdrücken als seine Vorgängerin. Außerdem ziehe es massiv Autoverkehr ins Viertel.
Entgegen ersten Ankündigungen will Ikea keine City-Filiale bauen, sondern eine mit dem üblichen Sortiment - nur eben über vier statt zwei Etagen verteilt. "Wir erwarten, dass 40 Prozent der Kunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder dem Rad kommen werden", sagt Ikea-Sprecherin Simone Settergren. Ikea arbeite an einem Lieferkonzept, das es ermöglichen soll, aufs Auto zu verzichten.
Sollte diese Rechnung aufgehen, erwarten die Planer 4.600 zusätzliche Autofahrten an normalen Werktagen und 8.300 an Freitagen und Samstagen. Auf der Altonaer Poststraße wären insgesamt bis zu elftausend Autos täglich unterwegs. Das würde der Größenordnung der Gertigstraße in Winterhude entsprechen. An geschäftigen Tagen wären einige Anwohner gesundheitsgefährdendem Lärm von mehr als 64 Dezibel ausgesetzt.
Die Pro-Ikea-Initiative hält es für wahrscheinlich, dass viele Kunden ohne Auto kommen, da Ikea längst nicht nur Möbel anbiete. Die Geschäftsleute hoffen auf zusätzliche Kundschaft: "Mehr Kunden bedeutet mehr Umsatz - und den brauchen die Einzelhändler dringend, damit sie die Miete zahlen können."
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt