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Stadtentwicklung in BremerhavenBrache der Hoffnung

In Bremerhaven soll das ehemalige Gelände der Firma Kistner entwickelt werden – womöglich ein Impuls für den gesamten Stadtteil Lehe.

Lag seit Jahren brach: Das Gelände der Baufirma Kistner in Bremerhaven-Lehe soll städtebaulich entwickelt werden. Foto: JPB

BREMERHAVEN taz |Es braucht manchmal nur wenige Namen, um die Geschichte einer ganzen Stadt zu erzählen. In Bremerhaven ist ein solcher Namen „Kistner“. Er ist eng verbunden mit Auf- und Wiederaufbau wie auch mit dem zeitweisen Niedergang der Stadt in den 1990er-Jahren. Ein Bauunternehmen, dessen gepresster Sandstein ganze Fassadenzüge prägt, nach dem eine Straße benannt wurde und das Generationen von Bremerhavenern Arbeit geboten hat.

Die Reste dieser Familientradition konnte man jahrelang auf dem Hobby- und Heimwerkermarkt an der Hafenstraße im Bremerhavener Stadtteil Lehe erleben: Ein etwas aus der Zeit gefallenener Pavillon, in dem es nach Gestern roch, der aber auch auf eine seltsame Weise Geborgenheit gab. Hinter dem Markt erstreckte sich ein Gelände mit mehr oder weniger baufälligen Hallen und Bürogebäuden bis zum Fluss Geeste hinunter. Darüber ragte der alte Schornstein mit dem „Kistner“-Logo.

Anfang der 2000er-Jahre schloss der Markt, die Firma ging pleite. Seit 2005 liegt das Kistnergelände brach. Ein „Filet“-Grundstück zwischen Gründerzeitquartier, Fluss, ehemaligem Werftgelände und Eishalle. Gegenüber der Geeste grasen Ochsen auf Weideland.

Das unübersehbare Potenzial des Geländes soll nun endlich erschlossen werden und gleichzeitig Impulse für die Entwicklung des nahen Goethequartiers geben, dem Herz von Lehe.

Der alte Schornstein bleibt

Ein von der Stadt ausgeschriebener Wettbewerb wurde per Jury-Entscheid vom Architektur- und Stadtplanungsbüro Spengler & Wiescholek in Zusammenarbeit mit den Landschaftsplanern Bruun & Möllers gewonnen. Er sieht einen Teilabriss der maroden Gebäude vor, erhält aber den Schornstein sowie eine Tonnenhalle, in der früher der Kalksandstein gepresst wurde.

Zur Hafenstraße entsteht ein Lebensmittelmarkt, zum Fluss hin öffnet sich ein städtebauliches Quartier mit 64 höherwertigen Wohnungen und einem Hostel. Das Flussufer wird zu einen öffentlich begehbaren Park umgewandelt.

Oberbürgermeister Melf Grantz (SPD) freute sich, dass der Entwurf „sowohl die Lage im Stadtteil Lehe als auch die Nähe zum Wasser angemessen berücksichtigt“. Die 18-köpfige Jury lobte den „städtebaulichen Gesamteindruck.“ Die konkrete Fassadengestaltung steht noch aus.

Gewinn für die ganze Stadt

So oder so ist die Entwicklung des Geländes ein Gewinn für die ganze Stadt und Teil einer allmählichen Öffnung zum Wasser hin, die Bremerhaven lange verschlafen hatte. So sehr war in der DNA der Stadt Wasser mit Arbeit und Industrie verwoben, zu gering der Bedarf an höherwertigem Wohnraum.

Bremerhaven gelingt seit Längerem besser als anderen Kommunen, seine ehemaligen Industrie-Quartiere aufzuwerten und umzugestalten und gleichzeitig deren identitätsstiftendes Potenzial beizubehalten: Der Fischereihafen wurde geöffnet für Veranstaltungen, Hotels und Gastronomie, das Areal um den Neuen Hafen aufwendig instand gesetzt. So wurde ein ehemaliges Dock freigelegt und zu einer Grünfläche umgedeutet. Darum gruppiert sich zeitgenössische Architektur.

Während anderswo Schlösser und mittelalterliche Stadtkerne wiederaufgebaut werden und so letztlich der Phantomschmerz des Verlustes historischer Strukturen und identitätsstiftender Ensemble nur verstärkt wird, schafft man es in Bremerhaven, das Alte in neue Lebensformen und Architekturen zu integrieren und damit versöhnend zu wirken. Das gelingt nicht immer ohne öffentlichen Druck, aber es gelingt.

Im Schatten der „Hafenwelten“

Das Kistnergelände ist ein ganz wesentlicher Baustein in diesem Prozess. Während das Stadtzentrum in Mitte mit deichnahen „Hafenwelten“ schon länger nachhaltig wiederbelebt wurde, stand das gerne als Problemstadtteil denunzierte Quartier Lehe lange Zeit im Schatten. Mit dem Um- und Wiederaufbau des Kistnerareals an Hafen- und Werftstraße ändert sich dies nun. Entstehen wird ein Ort, an dem sich hoffentlich Bremerhavener verschiedener Einkommensklassen begegnen können: Keine abgeschlossenen Wohntürme, sondern durchmischter, öffentlicher Raum.

Zeugnis des Wiederaufstieg

Zu hoffen ist, dass hier neben symbolhafter Erhaltung von Schornstein und Tonnenhalle eine inhaltliche Aufarbeitung der Firmengeschichte, etwa in Form von groß aufgezogenen Fotografien aus dem Kistner-Nachlass als permanente Ausstellung gezeigt wird. Diese Bilder, die die Nordsee-Zeitung als „Zeugnisse der Wertschätzung, die der Arbeitgeber seinen Beschäftigten entgegenbrachte“, bezeichnete, dokumentieren nicht nur die Bedeutung der Firma für die Bremerhavener Seele. Sie zeigen, dass eine Stadt in gemeinsamer Anstrengung aller Klassen und Gewerke nach einem Niedergang immer wieder aufzublühen vermag.

Wenn das umgestaltete Kistnerareal hierfür ein Signal sein kann, dann wird seine Bedeutung die rein städtebauliche weit übersteigen.

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1 Kommentar

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  • Oha liebe taz, ich war zunächst erstaunt, ob dieses wirklich wohlwollenden Artikels über meine Heimatstadt. Da ist man als Bremerhavener ja sonst anderes gewohnt. Allerdings wurde mir dann nach einem Blick auf den Autor recht schnell bewusst, dass der Artikel ja auch von einem original Leher Butjer verfasst wurde. Aber trotzdem Ruben Donsbach, ein prima Artikel! Ich kann nur voll und ganz zustimmen.