: Stadtdirektor scheut Sprengelfabrik
■ Der hannoversche Verwaltungschef lehnt TV–Diskussion mit Besetzern der Schokofabrik ab / NDR–Live–Sendung heute abend nur mit Selbstdarstellungs–Beitrag der Besetzer / NDR prüft Video
Aus Hannover Thomas Hestermann
In der Kneipe „Sturmglocke“ der seit Sommer 1987 besetzten Sprengelfabrik in Hannover wird am Dienstagabend einer fehlen: Oberstadtdirektor Hinrich Lehmann–Grube wird zur Fernseh– Liveübertragung des NDR (“Träumen oder räumen?“) nicht erscheinen. Zahlreiche Überredungsversuche schlugen fehl. „Wir versichern hiermit ernsthaft und glaubwürdig, daß wir ihm nicht die Ohren abschneiden werden“, hatten die Besetzer versprochen. Lehmann–Grube: Solange das Gelände besetzt sei, komme er nicht. Dann, so schlugen die Fabrikbewohner vor, möge er doch einfach die Räume der „Sturmglocke“ für die Dauer der Sendung „kurzzeitlegalisieren“. Auch das war dem Verwaltungschef jedoch nicht genehm. Ein Gespräch vor Fensehkameras auf besetztem Gelände würde, so Lehmann–Grube, „kein Gespräch, sondern eine Schau - kein sinnvoller Beitrag“. Statt dessen müssen sie jetzt mit Parteivertretern vorlieb nehmen. Den Besetzern eine Chance zur Selbstdarstellung zu geben, zeigen, wie sie denken und warum sie auf die Industriebrache in der hannoverschen Nordstadt gezogen sind, ist Anliegen von Panorama–Redakteur Kuno Haberbusch, dem Moderator der Sendung. Daß die Berührungsängste der Verwaltung jene der Besetzer noch übertrafen, hat ihn überrascht. Ob die Sendung stattfindet, steht allerdings noch dahin: Die Besetzer nehmen nur teil, wenn ihre elfminütige Selbstdarstellung in den TV–Disput eingebaut wird. Titel: „Alles wird gut, die Fischstäbchen springen wieder.“ Der Film soll sowohl den aktuellen Zustand aus Sicht der Besetzer wie ihre Utopien schildern. Das wollen die NDR–Verantwortlichen zuvor begutachten. Ein Bote des Senders holte das Video am Montag ab. „Das hat nichts mit Zensur zu tun“, beteuerte Kuno Haberbusch, „sondern mit der Verantwortung des NDR für sein ausgestrahltes Programm.“ Die Räumung des Areals in der Größe von ca. dreieinhalb Fußballfeldern schien schon unausweichlich, als im Stadtrat am 17.März der Erhalt von nur zwei der sieben besetzten Gebäude beschlossenworden war. Dann hatten Lokalpolitiker überraschend zugesagt, an eine Räumung werde bislang nicht gedacht, sogar begrenzte Nutzungsgarantien und eine neuerliche Bürgerbeteiligung seien möglich. Wenn die Sendung vom Sprengelgelände letztlich am Veto der NDR–Oberen scheitert, gibt es Fernsehen aus der Konserve: den Film „Alles Plastik“ über die Wegwerfgesellschaft.
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