Staatsschutz-Einsatz in Roter Flora: Neue Dimension im Polizei-Wirrwarr
Die Hamburger Politik versucht den Einsatz der verdeckten Ermittlerin „Iris Schneider“ aufzuklären. Auch der Inlandsgeheimdienst war involviert.
HAMBURG taz | Die Aufklärung der Polizei-Affäre um die Staatsschützerin Iris P. alias „Iris Schneider“ des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) steht am Mittwoch erneut auf der Agenda des Innenausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft. Inzwischen hat der heutige SPD-Senat zugegeben, dass die Kriminalbeamtin mindestens in den Jahren 2001 bis 2006 die linke Szene um das besetzte autonome Stadtzentrum Rote Flora infiltrierte.
In der Sitzung am Mittwoch geht es vor allem um die Frage, auf welcher rechtlichen Basis der Einsatz erfolgte und wieso die heute 41-jährige damals für mehrere Polizei-Behörden in unterschiedlichen Funktionen als „Ermittlerin“ und „Aufklärerin“ in alternativen Wohngemeinschaften ein- und ausgegangen ist. „Was war verdeckte Ermittlung und was war verdeckte Aufklärung?“, fragte bei der letzten Ausschusssitzung der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar zum rechtlichen Spagat zwischen polizeilicher Gefahrenabwehr und strafprozessualer Strafverfolgung. „Das ist mir im Moment völlig unklar“, sagte Caspar.
Zuvor hatte Innensenator Michael Neumann (SPD) einen „Zwischenbericht“ der LKA-Sonderkommission gegeben. Caspar erwarte Antworten darauf, ob alles „lege artis“ – also nach dem Gesetz – gelaufen sei. Am Mittwochabend möchte Caspar im Innenausschuss Stellung beziehen, nachdem ihm angeblich von der Innenbehörde Unterlagen zugesandt worden sind. „Herr Caspar wird in der heutigen Sitzung des Innenausschusses eine Stellungnahme dazu abgeben“, sagt sein Sprecher Arne Gerhard.
Denn spätestens seit der Enttarnung eines „nicht offen ermittelnden Beamten“ (noeB) des LKA, der unter dem Namen „Stefan“ in der linken Hamburger Flüchtlingsunterstützer-Szene operierte – und was 1999 beinahe zum rot-grünen Koalitionsbruch geführt hätte –, ist klar, dass Polizei-„Aufklärer“ keine Privatwohnungen betreten dürfen. „Damit würde die Polizei geheimdienstliche Funktionen wahrnehmen“, urteilte damals der renommierte Rechtsanwalt Gerhard Strate in einem Gutachten für die Grünen. „Es ist Aufgabe der Polizei, Gefahren abzuwehren und nicht, nach Gefahren zu suchen“, sagte Strate.
„Ermittlerin“ und „Aufklärerin“ in Doppelfunktion
Inzwischen sind mehrere namhaften Verfassungsrechtsexperten mit dem Komplex befasst. Keiner wollte jedoch vor der Sitzung am Mittwoch einen Kommentar abgeben. Selbst ein Gutachten der Innenbehörde hatte 1999 ergeben, dass für polizeiliche Aufklärer zur Gefahrenabwehr Privatwohnungen rechtlich Tabu seien. „Danach ist zwar die Dienstanweisung, aber nicht das Recht geändert worden“, sagt die Innenpolitikerin der Hamburger Linksfraktion, Christiane Schneider vor der Sitzung. Zudem sei die Dienstanweisung geheim und polizeiintern streng vertraulich.
Bei der Enttarnung des Polizisten „Christian Trott“ in der Hartz-IV-Protestszene „Hamburg umsonst“ hatte der Ole von Beust CDU-Senats 2004 in dem Bezug geschwiegen. Iris P. hatte aber in ihrem Paralleleinsatz als „Ermittlerin“ und „Aufklärerin“ in Doppelfunktion nicht nur Wohnungen betreten, sondern war tief in Privatsphären eingedrungen, indem sie laut Betroffenen enge Freundschaften schloss und Liebesbeziehungen einging.
In der letzen Innenausschuss-Sitzung hatte Neumann einen „vorläufigen“ Ermittlungsbericht über den Undercover-Einsatz von Iris P. im Zeitraum 2001 bis 2006 gegeben. Danach sei die damals 28-jährige Kriminalbeamtin im August 2001 zunächst vom LKA 8 (Staatsschutz) zur Aufklärung von Brandanschlägen als „verdeckte Ermittlerin“ (VE) unter der Regie eines „VE-Führers“ in die autonome Rote-Flora-Szene geschickt worden. Im April 2002 sei Iris P. in Amtshilfe für das Bundeskriminalamt (BKA) und der Bundesanwaltschaft (BAW) in einem Ermittlungsverfahren als VE eingesetzt worden – geleitet vom VE-Führer des LKA 8.
Ihre Schnüffel-Tätigkeit für das Hamburger LKA 8 wurde von VE in VA – „verdeckte Aufklärerin“ oder „Beobachterin für Lagebeurteilung“ ( BfL) umdefiniert – weiter unter der Leitung des VE-Führers des LKA 8. Auch, als Iris P. am 1. Mai 2004 als VE im Auftrag der BAW für das LKA Schleswig-Holstein tätig wurde. Im Rahmen ihrer Tätigkeit als BfL war sogar ein Ermittlungsverfahren gegen sie wegen Landfriedensbruch anhängig, weil „Iris Schneider“ zusammen mit anderen nach einem Plenum in der Roten Flora am Bauzaun des Mövenpick-Hotels in der Schanze gerüttelt hatten. Das Verfahren wurde natürlich eingestellt.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen beim LKA gelöscht
Interessant dürfte auch der von Neumann angekündigte Auftritt des Hamburger Verfassungsschutz-Chef Torsten Voß werden. Der Grund: Entgehen den ursprünglichen Angaben des SPD-Senats nach der Enttarnung, alle elektronisch gefertigten Berichte von „Iris Schneider“ aus ihrer Tätigkeit als Aufklärerin seien aus datenschutzrechtlichen Gründen beim LKA gelöscht worden, sind nun ihre Berichte beim Inlandsgeheimdienst durch die von Neumann eingesetzte LKA-Ermittlungsgruppe aufgestöbert worden.
„Die von der BfL beschafften und ihr zweifelsfrei zuzuordnenden Lageinformationen waren ausweislich eines beim LKA vorhandenen Dokuments mit der Codierung 37 beziehungsweise nach einer Umorganisation des LKA mit der Codierung 74003 versehen“, sagte Innenbehörden-Sicherheitschef Bernd Krösser. Weitere, mit einer Buchstaben-Kennung codierte Berichte, könnten ihr zwar nicht hundertprozentig, aber mit große Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden.
Innensenator Neumann wird auch auf Fragen Antworten geben müssen, wie es dazu gekommen ist, dass Iris P. das von der Rundfunkfreiheit geschützte „Freies Sender Kombinat“ (FSK) infiltrierte. Sie hatte damals damals bei dem linken Sender in mehren Redaktionen mitgearbeitet und war sogar in der Live-Berichterstattung bei Demonstrationen aktiv. Dafür wollen bislang weder das BKA oder die BAW noch das LKA und schon gar nicht der „LKA 8-VE-Führer für alles“ die Verantwortung übernehmen.
Ist Iris P. damals emotional aus dem Ruder gelaufen? „Die Innenbehörde weist wie auch das Bundesinnenministerium die Verantwortung sowohl für den mehrjährigen Einsatz der Beamtin gegen das Radio FSK wie auch für die Liebesbeziehungen, die die Beamtin im Einsatz einging, zurück. Beides war rechtswidrig“, sagt die linke Politikerin Schneider.
Es gäbe nur zwei Möglichkeiten. Entweder sage die Behörde nicht die Wahrheit. Oder das LKA und der VE-Führer haben über einen langen Zeitraum tatsächlich nicht gewusst, was die Beamtin im Zusammenhang ihres Einsatzes getan habe „Beides wäre verantwortungslos und inakzeptabel. Ich verlange, dass die Behörde so oder so zu ihrer Verantwortung steht.“ Wenn der Mittwoch keine Erleuchtung bringt, wird es wohl nach der Bürgerschaftswahl einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“