Staatschef Leterme stolpert über Bankenskandal: Belgiens Regierung kriegt die Krise
Christdemokratischer Premier Leterme bietet Rücktritt an. Regierung soll versucht haben, Gerichtsurteil in Sachen Fortis-Bank zu beeinflussen. Mehrheit für Neuwahlen.
BERLIN taz Belgien erlebt eine weitere Regierungskrise: Am Freitag bot der christdemokratische Premier Yves Leterme den Rücktritt seines Kabinetts an. Seither muss König Albert II. Nachtschichten einlegen, um in Einzelgesprächen mit führenden Politikern nach neuen Regierungsoptionen zu suchen.
Die aktuelle Krise wurde durch den Verkauf der Fortis-Bank ausgelöst. Die größte Bank Belgiens war durch die Finanzkrise schwer angeschlagen und musste im September verstaatlicht werden. Wenig später beschloss die Regierung, 75 Prozent der Anteile an die französische Bank BNP Paribas zu verkaufen. Die Kleinaktionäre der Fortis-Bank wurden dabei nicht konsultiert und zogen vor Gericht. In zweiter Instanz bekamen sie Recht: Der Verkauf der Fortis-Bank muss nun ausgesetzt werden, bis die Aktionäre darüber auf einer Hauptversammlung abgestimmt haben.
Genau dieses Urteil wollte Letermes Büro offenbar verhindern, indem es versuchte, auf das Berufungsgericht gezielt Einfluss zu nehmen. Schon seit Tagen werden in der belgischen Presse immer neue Details dieser Manipulationsversuche ausgebreitet. So soll Letermes Sicherheitsberater eine E-Mail an den zuständigen Staatsanwalt geschickt haben: "Sinkende Schiffe reißen manchmal auch Menschen mit", drohte er.
Auch gab es offenbar Kontakte zwischen dem Bürochef Letermes und dem Ehemann einer Berufungsrichterin. Jedenfalls gab Leterme zu, vor dem offiziellen Urteil informiert worden zu sein, dass sich bei Gericht "eine möglicherweise dramatische Wendung" im Fall Fortis ankündige. Die Affäre beschäftigte auch das oberste Gericht Belgiens, den Kassationshof, der am Donnerstag ein vernichtendes Urteil fällte: Es gebe "deutliche Anzeichen", dass die Regierung versucht habe, ein missliebiges Urteil zu verhindern.
In Belgien wird nun gerätselt, wie es weitergehen soll. Es gilt als unwahrscheinlich, dass Leterme Premier bleibt. Denn es wird zu einem Untersuchungsausschuss im Parlament kommen, und auch der Kassationshof hat weitere Nachforschungen angekündigt. Eine Dauerdebatte über die Fortis-Affäre würde eine Leterme-Regierung jedoch handlungsunfähig machen.
Als Nachfolger für Leterme sind im Wesentlichen seine Vorgänger im Gespräch. Dazu gehört der flämische Liberale Guy Verhofstadt. Er hatte im Juni 2007 die Parlamentswahlen verloren - blieb dann aber bis März 2008 im Amt, weil sich Wallonen und Flamen auf keinen neuen Premier einigen konnten. Ein anderer denkbarer Neupremier wäre der flämische Christdemokrat Jean-Luc Dehaene, der Belgien von 1992 bis 1999 regiert hat. Möglich wäre auch der flämische Christdemokrat Herman Van Rompuy, der unter Dehaene Vizepremier war.
Doch jeder neue Premier wäre wohl nur ein Übergangskandidat. Seit den Wahlen im Juni 2007 hat Belgien keine stabile Regierung mehr. Die meisten Bürger sind daher für Neuwahlen im Juni 2009, wenn zeitgleich Regional- und Europawahlen anstehen.
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