■ Staatsbürgerschaftsrecht: Ministerpräsident Stoiber befragt das Volk: Niedere Beweggründe
Wochenlang hatte es ihr die Sprache verschlagen. Jetzt findet die Opposition auch zum dritten Kernvorhaben der rot-grünen Regierung, der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts, die Stimme – nur weiß sie offenbar noch nicht, wie lautstark sie demnächst Alarm schlagen soll. Anders als beim Atomausstieg und bei der Steuerreform hat die Union gegen die Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts bislang keine einheitliche Linie gefunden. Genau das ist die Chance – für dieses Jahrhundertprojekt, aber auch für die Christdemokraten.
Die Populisten von der CSU wollen im Januar eine Volksbefragung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft starten. Das klingt so, wie es gemeint ist: als Drohung. Aussage- oder gar Rechtskraft der Befragung wären gleich null. Schließlich hat am 27. September das Volk nicht zuletzt auch eine Regierung mit genau diesem Reformversprechen gewählt. Aber wo Argumente und Mehrheiten versagen, taugt Volkes Stimme noch zur Stimmungsmache.
Es ist ein dummes, ein fahrlässiges Jonglieren mit Ressentiments. Niedere Beweggründe, heißt ein schöner Begriff in der Juristensprache. Auch Christdemokraten ahnen, daß die bayerischen Hasardeure damit am sozialen Frieden zündeln. Fast schon mahnend klingen jetzt die Worte von Parteichef Schäuble in seinem Brief an die Mandats- und Funktionsträger. „Heranführen statt ausgrenzen“ schreibt er zum Thema Integrationspolitik. An seiner grundsätzlichen Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft ändert das nichts. Aber niemand erwartet, daß die CDU sich nun zu deren Fürsprecher macht. Die Frage ist eher, mit welchen lauteren oder unlauteren Mitteln sie sich zum Gegensprecher macht.
Die Antwort ist noch nicht gesprochen, doch mit ihr steht der künftige Stil der Opposition auf dem Prüfstand: intelligent, sach- und zukunftsorientiert, um eigene neue Positionen ringend – oder aber ideologisch, taktisch, im eigenen Saft schmorend. Für etliche Christdemokraten ist offenbar die Verlockung zu groß, mit billigen Rezepten auf große Wirkung zu zielen. CDU-Hardliner Rupert Scholz, Verfassungsrechtler von Beruf und derzeit Hinterbänkler im politischen Leben, schafft es jetzt mit dem Vorschlag in die Schlagzeilen, Sozialhilfe für Ausländer auf das „physische Existenzminimum“ zu beschränken. Wolfgang Schäuble ist klug genug, die gefährliche Dummheit hinter solchen Vorschlägen zu erkennen. An Punkten wie diesem könnte er zeigen, wer Chef im Haus ist. Vera Gaserow
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