Staatsbesuch unter starkem Polizeischutz: Berlin freut sich auf Erdoğan
Gegen den Staatsbesuch des türkischen Präsidenten wollen 10.000 Menschen demonstrieren. Die Polizei riegelt deshalb die halbe Innenstadt ab.
Die mit rund 10.000 Teilnehmern wohl größte Demonstration wird am Freitag unter dem Motto „Erdoğan not welcome“ stattfinden. Sie startet um 16 Uhr am Potsdamer Platz und soll am Schloss Bellevue enden, wo Erdoğan am Abend vom Bundespräsidenten begrüßt wird. Zur Demo ruft ein breites Bündnis von über hundert Gruppierungen auf, die im politischen Spektrum alles von Gewerkschaft bis linksradikal abdecken. Kurdische Gruppen sind besonders stark vertreten.
In dem Demo-Aufruf werfen sie dem türkischen Staatschef unter anderem vor, die Demokratie in seinem Land abzuschaffen, Minderheiten zu unterdrücken, Journalist*innen und Oppositionelle zu verfolgen und einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Kurdistan zu führen. „Erdoğan verdient ein Ticket nach Den Haag, nicht nach Berlin“, formuliert es Demo-Anmelder Lukas Theune spitz.
Die Kritik ist nicht nur an Erdoğan gerichtet, sondern auch an die Bundesregierung, der vorgeworfen wird, die Entwicklungen in der Türkei wegen macht- und wirtschaftspolitischer Interessen zu ignorieren. „Es geht doch nicht, dass einem Verbrecher der rote Teppich ausgerollt wird“, so Ali Toprak, Vorsitzender der kurdischen Gemeinde in Deutschland, „damit wird Erdoğans Politik der letzten Jahre legitimiert. Das Handeln der Bundesregierung verrät die Demokraten in der Türkei.“
Zugangsverbot für Unter den Linden
Die kurdische Gemeinde hatte ursprünglich eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor mit 5.000 Teilnehmer angemeldet. Die wurde zunächst genehmigt, dann aber mit Verweis auf die Vorbereitungen für die Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober wieder untersagt. Für Toprak nur ein Vorwand der Bundesregierung, die den Staatsbesuch nicht durch Gegendemonstrationen gestört sehen will: „Erdoğan will keine Demonstranten sehen.“
Inzwischen hat der Polizeipräsident per Allgemeinverfügung die halbe Innenstadt zur Bannmeile erklärt, in der nicht nur das Demonstrieren verboten ist, sondern die „Nutzung nur Anrainern gestattet ist“. Das betrifft vom 27. bis 29. September den Spreebogen, den Bereich um das Brandenburger Tor, aber auch Unter den Linden zwischen der Staatsbibliothek und dem Lustgarten.
Damit müssen weitere der angemeldeten zehn Gegenveranstaltungen umdisponieren. Um 11 Uhr findet die Kundgebung „Freiheit für Journalisten in der Türkei“ von Reporter ohne Grenzen am Washingtonplatz statt. Die Alevitische Gemeinde plante bislang, um 18 Uhr eine Kundgebung am Bebelplatz, der jetzt in der Sperrzone liegt. Die Stimmung dürfte angespannt werden, denn nach Informationen der Alevitischen Gemeinde Hamburg wurde vergangenen Freitag ihr ehemaliger Vorsitzender, Nurali Demir, bei der Einreise am Flughafen in Istanbul festgenommen.
Am Samstag geht es für entschlossene Erdoğan-Gegner*innen weiter nach Köln, wo Erdoğan in der neu eröffneten Ditib-Moschee vor seinen Anhängern sprechen will. Auch dort ist eine große Gegendemo angekündigt.
Die Berliner Polizei geht mit 1.500 bis 3.000 Beamten in den Einsatz. Unterstützung aus den anderen Bundesländern sei angefordert, aber noch nicht zugesagt, sagt Polizeidirektor Siegfried-Peter Wulff, der den dreitägigen Großeinsatz leiten wird. „Für uns ist das eine große Herausforderung, aber die Berliner Polizei greift auf große Erfahrungen zurück“, sagt Wulff in Hinblick auf vergangene Staatsbesuche. Während des Besuchs von Erdoğan gilt die Sicherheitsstufe eins. Das bedeutet: Scharfschützen auf den Dächern und die Planung paralleler Routen für den Konvoi.
In einem auf Indymedia von Unbekannten veröffentlichten Schreiben wird dazu aufgerufen, den Staatsbesuch „zum Desaster zu machen“. Dabei wird explizit auf militante Aktionsformen verwiesen und ein Bezug zu den Straßenschlachten während des Schah-Besuchs 1967 hergestellt.
Theune betont aber, dass die größte Demo des Tages friedlich bleiben wird: „Wir werden friedlich, aber entschlossen zeigen, dass Erdoğan nicht willkommen ist.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten