GASTKOMMENTARE: Staatsbegräbnis
■ Die EG bleibt ein Verbund kooperierender Nationalstaaten
Natürlich hat sich Helmut Kohl nicht von seiner Absicht abbringen lassen, die Regierungskonferenzen in Maastricht — unabhängig von ihrem konkreten Ergebnis — als „großen Erfolg“ zu feiern. Wo käme man hin, wenn man sich seine Kommentare von der Wirklichkeit diktieren ließe! Allen anderen aber ist klar, daß die Idee einer Politischen Union gescheitert ist. Die 'Süddeutsche‘: „In Maastricht gewinnt der Bremser!“ Die 'Stuttgarter Zeitung‘: „Der große Name ,Europäische Union‘, der auf dem Deckblatt der neuen Verträge steht, ist kaum mehr als ein frommer Wunsch.“ Und selbst die 'FAZ‘ sagt kühl, das Ganze sei „nicht ein halber Erfolg, sondern eine dreiviertel Niederlage“. Noch Fragen?
Natürlich kann man, wenn man dem Irrtum huldigt, im Jahr 1991 käme Europa mit „business as usual“ voran, ein paar „Erfolge“ Bonns auflisten. Man hat eine juristische Bestimmung zur Subsidiarität von unten in den Verträgen verankert und ein Beratungsorgan für die Regionen durchgesetzt, die Währungsunion ist halbwegs unter Dach und Fach (Kompliment!), und man hat sich durchgerungen, die WEU zu einem einigermaßen unabhängigen Instrument der europäischen Sicherheitspolitik zu machen. Dagegen steht die Unfähigkeit der EG, eine gemeinsame Außenpolitik zu beginnen, die erfolgreiche englische Blockade der Sozialpolitik und vor allem das Desaster bei den Parlamentsrechten. Auch wenn die Berufseuropäer das vorsichtiger ausdrücken dürften: Das Europäische Parlament bleibt ein Ornament, die EG ein Verbund kooperierender Nationalstaten. Von Supranationalität keine Rede. Hätte es die mitteleuropäische Revolution von 1989 nicht gegeben, wäre das eine bedauerliche Verzögerung der europäischen Integration, die man in einem halben oder ganzen Jahrhundert korrigieren könnte. So aber ist die Gefahr groß, daß der altneue Nationalismus des europäischen Ostens im Westen eine Renaissance des demokratischen, aber egoistischen Nationalstaats herbeiführt. In den deutschen Eliten wird Kriegserfahrung vom blutigen Scheitern der nationalstaatlichen Idee immer stärker durch einen trotzig-nationaliberalen Pragmatismus verdrängt. Viele Wortführer der politischen Klasse sehnen sich nach „Normalität“ und beginnen, die „Machtvergessenheit“ der Bonner Vergangenheit zu bekritteln. Bonn? Idylle, Provinz, stiller Winkel. Jetzt müssen wir mehr „Verantwortung übernehmen“. Beim nächsten Gipfel werden die Deutschen keine europäischen Musterknaben mehr sein.
Helmut Kohl hat — wie wir alle — schon manchen fragwürdigen Begriff in die Welt gesetzt. Der bodenloseste ist sein Gerede von der „Unumkehrbarkeit“ der europäischen Einigung. Man kann diesem pfälzischen Europäer durchaus glauben, daß er einen europäischen Bundesstaat will. Aber wollen und können ist zweierlei. Helmut Kohl hat gerade am Staatsbegräbnis dieser Idee in vorderster Reihe teilgenommen. Peter Glotz
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