: Staatsanwalt am Bett
Justiz will HIV-Infizierte kontrollieren ■ K O M M E N T A R E
Hand aus Herz: Haben Sie Ihr Blut schon beim Aids-Test abgegeben? Wer verantwortungslos oder monogam war und das nicht tat, hat Glück gehabt; der kann, wie auch immer er/sie will, frei vögeln. Wenn dabei jemand angesteckt wird - Pech gehabt. Ganz anders diejenigen, die verantwortungsbewußt und polygam den Test gemacht, einen „positiven“ Bescheid bekamen und dies auch noch ehrlich sagen. Sie liegen Nacht für Nacht mit einem Bein im Gefängnis, denn als „vorsätzliche gefährliche Körperverletzung“ können bundesdeutsche Richter jede ungeschützte „sexuelle Handlung“ bestrafen, auch wenn die PartnerInnen bewußt das Risiko eingegangen sind. Ermittelt wird nicht auf Anzeige „Geschädigter“, sondern „von Amts wegen“.
Die Bundesrepublik ist ein moderner Rechtsstaat und da interniert man eine Bevölkerungsgruppe nicht mir nichts dir nichts. Aber mit der Abschreckungsstrafe von ein paar Monaten Gefängnis könnte die Risikogruppe aus dem Verkehr gezogen werden, soweit sie sich nicht selber die Quarantäne verhängt. In ein paar Wochen wird der BGH mit einer anstehenden Entscheidung die Kemptener Rechts-Linie auch nördlich von Nürnberg und Hechingen ermutigen. Denn die logische Folge dieser Spruch-Praxis kann nur sein, daß sich niemand mehr zu seiner Infizierung offen bekennen kann. Und ausgerechnet das Ehebett hält der Staatsanwalt für den Ort, an dem seine erkennende Tätigkeit und sein Eingreifen nicht mehr erforderlich wäre - die bundesdeutsche Justiz droht sich mal wieder im Jahrundert zu irren.
Klaus Wolschner
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