Staatliche Schikanen: Handwerk künftig rechtsstaatsfern
Niedersachen will verdachtsunabhängige Hausdurchsuchungen in Büros und auf Baustellen ohne Richterbeschluss ermöglichen - im Kampf gegen Schwarzarbeit. Und gegen unabhängige Handwerker
DIEPHOLZ-NIENBURG taz | Diepholz-Nienburg hat als letzte der 36 niedersächsischen Kreishandwerkerschaften die Behauptung von ihrer Homepage genommen, der Kunde riskiere „Pfuscharbeiten“, wenn er Personen beauftragt, „die in einem Handwerksberuf selbstständig werden und nicht in der Handwerksrolle eingetragen sind“. Man habe das tun müssen, so Geschäftsführer Jens Leßmann, „weil das falsch war“. Auch eine entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung wurde unterzeichnet, und die Rechnung bezahlt. Ganz wie von Jonas Kuckuk gefordert.
Für den bedeutet das nur das erfolgreiche Ende einer Etappe, auch wenn die durch ganz Niedersachsen führte und zwei Jahre dauerte. Eine Kreishandwerkerschaft nach der anderen hat er gezwungen, den unwahren Spruch vom Netz zu nehmen. Dabei ist er kein durchgeknallter Abmahn-Anwalt, sondern Reetdachdecker sowie Vorstand und Sprecher des in Verden ansässigen Berufsverbands unabhängiger Handwerker (BUH).
Der BUH vertritt die Interessen von Handwerkern, die eine Zwangsmitgliedschaft in der Kammer ablehnen. Und die vom – 1935 in Deutschland wieder eingeführten – Meisterzwang befreit sind. Denn ein paar Gewerke benennt die Handwerksordnung als Ausnahme der weltweit nur hier und in Luxemburg existenten Pflicht, zudem gibt es klassische Reisegewerbe, und die Möglichkeit, sein Handwerk im unerheblichen Nebenbetrieb auszuüben. Ein David gegen den allein in Niedersachsen 42 Milliarden Euro schweren Koloss des zünftigen Gewerbes.
Dank Adolf Hitler schreibt Deutschland als einziges Land neben Luxemburg selbstständigen Handwerkern vor, bei der Handwerkskammer einen Meisterprüfung abzulegen.
Dieser 1935 eingeführte Zwang ist Reprise der mittelalterlichen Zunftordnung, die ab dem 12. Jahrhundert innerstädtisch die Position der Handwerker gegen das Patriziat stärkte, andererseits Konkurrenz vom Lande ausschloss.
Abgeschafft worden war der Meisterzwang in Preußen 1810, ebenso wie in allen napoleonisch besetzten Gebieten, ab 1869 galt die allgemeine Gewerbefreiheit.
Bloß ist die Auseinandersetzung eben mit einem Steinwurf nicht beendet. Im Gegenteil. Denn während Handwerkskammern und Hannover die Diffamierung der Buh-Leute stillschweigend hingenommen haben, hat sich ausgerechnet der liberale Landeswirtschaftsminister zum Antreiber der Aufrüstung gemacht. Mit einer Gesetzesinitiative regt er an, Fahndern zu erlauben, verdachtsunabhängig Büroräume, Baustellen und Geschäftsunterlagen von HandwerkerInnen zu durchsuchen, also „durch aktive Prüfungen Beweise dafür zu ermitteln, dass etwas nicht in Ordnung läuft“, wie Jörg Bodes Sprecherin bestätigt. Selbstverständlich „ohne richterlichen Beschluss“. Für skandalös hält sie eher, „dass das bislang nicht möglich ist“.
Der Bundestag zögert noch. Im Bundesrat aber hat der Vorstoß eine Mehrheit gefunden. Das liegt wohl daran, dass er unter dem gewinnenden Titel „Novelle des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes“ firmiert. Am Fiskus vorbeimauern, klar, das ist schädlich. Allerdings gilt eben auch ein Verstoß gegen die Handwerksordnung als Schwarzarbeit – sprich: Wenn ein „Selbständiger ein zulassungspflichtiges Handwerk betreibt, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein“, wie das Wirtschaftsministerium informiert. Auch, wenn er Steuern und Sozialversicherung und alles zahlt – nur eben keine Kammerbeiträge. „Da wird nur deren Interesse mit bedient“, so Kuckuk.
Tatsächlich sorgt sich der Entwurf vor allem um eine Ausbreitung von zulassungspflichtigem Handwerk ohne Eintragung. Er will die Werbung dafür zum „Bußgeldtatbestand“ machen. Aber auch die Kontrollpraxis gibt Kuckuk recht: Ausgerechnet durch Beiträge von Eingetragenen finanzierte HWK und jene Kreishandwerkerschaften, die nur nach Abmahnung einräumen, dass es so etwas wie legale Handwerker ohne Meisterbrief gibt, sollen die Landesbehörden dabei unterstützen. „Das geht sogar so weit, dass sie die Fahnder ausbilden, losschicken und bezahlen“, sagt Kuckuk.
Klingt irre. Stimmt aber. So will man sich zwar bei der Osnabrücker HWK noch nicht als Strafverfolgungsbehörde bezeichnen. Aber Sprecher Andreas Lehr bestätigt, man habe vom Landkreis diese „hoheitlichen Befugnisse übertragen bekommen“ und ermittle seither „gegen Schwarzarbeit“. Entstanden sei „eine reguläre Stelle“ – finanziert von Landkreis, HWK und Kreishandwerkerschaft.
Der Transparenzgrad der Aktion ist nicht sonderlich hoch: Fallzahlen gibt’s keine und eine Auswertung nach Delikttypen erst recht nicht. Aber immerhin, laut Lehr ist die Sache „ein Erfolg“. Und auch der Wirtschaftsminister hat bereits sein Wohlgefallen bekundet hinsichtlich der in der Tat „besonderen Finanzierungsform“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?