Staatgerichtshof: Mehr Demokratie auf der Kippe
Der Innensenator will das neue Wahlrecht so ändern, dass es ins Leere läuft, klagt "Mehr Demokratie". Heute berät der Staatsgerichtshof
Eigentlich sollten in Bremen die Zeiten vorbei sein, in denen nur die letzten Plätze einer Wahlliste "Wackelplätze" waren und die Parteien weitgehend darüber entschieden, wer in die Bürgerschaft kommt. Die Initiative "Mehr Demokratie" hat mit ihrem erfolgreichen Volksbegehren erreicht, dass in dem neuen Wahlrecht - wie in Bayern - die WählerInnen auch bei einzelnen Kandidaten ihre Stimmen kumulieren können. Bei dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof steht heute aber, sagt Wilko Zicht von "Mehr Demokratie", die "wichtigste Regelung" des neuen Wahlsystems zur Disposition.
Zicht erklärt das am Beispiel des CSU-Ergebnisses im Wahlkreis Oberbayern für die Bayerischen Landtagswahlen. Dort waren noch 21 Plätze zu verteilen. Wenn man das in Bremen gültige Auszähl-System anwendet, dann gibt es sechs Kandidaten, die den Sprung in den Kreis der 21 geschafft hätte, obwohl sie von der CSU auf hintere Listenplätze gesetzt wurden. Nach dem "niedersächsischen" System, das vom Bremer Innensenator favorisiert wird, würde das niemand schaffen - das neue Wahlsystem hätte keine Auswirkungen.
Die Hamburger Bürgerschaft hat im vergangenen Jahr das "Bremer Modell" beschlossen, nachdem bei der letzten Wahl mit dem "niedersächsischen" Zählsystem gerade drei Abgeordnete - von 121 - ohne sicheren Listenplatz in die Bürgerschaft gekommen waren. Man wollte mehr Möglichkeiten für die Wähler, sagt der SPD-Rechtspolitiker Andreas Dressel.
Wie kommt der Unterschied zustande? In dem neuen Wahlrecht hat jeder Wähler fünf Stimmen, die frei verteilt werden können. Wer sich bei den Kandidaten nicht auskennt oder wer das Personenwahlrecht nicht nutzen will, kann eine oder alle Stimmen einer Liste geben. Wenn zum Beispiel die Hälfte der Stimmen für die SPD auf die Liste entfielen, dann würde die Hälfte SPD-Sitze nach Liste vergeben, die andere Hälfte an die mit den besten Stimmergebnissen.
Die spannende Frage ist nun: In welcher Reihenfolge werden die Plätze verteilt? Erfahrungsgemäß haben die vorderen Listen-Kandidaten auch die meisten Personenstimmen. Wenn - wie im "Bremer Modell" - zunächst die Listenplätze vergeben werden, haben hintere Listenkandidaten mit guten Personenergebnissen eine Chance. Wenn aber umgekehrt erst die Kandidaten mit den besten Personenergebnissen einen Sitz bekommen, dann sind das weitgehend Kandidaten mit sicheren Listenplätzen - danach kämen die anderen Listenkandidaten.
Das rechtliche Argument des Innensenators: Bei dem "Bremer Modell" bekämen die, die die meisten Personenstimmen bekommen, aufgrund ihres Listenplatzes ihren Sitz. Verfälscht das den Wählerwillen? Zwei Gutachten wurden bestellt, das eine sagt "Ja", das andere "Nein".
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