Berliner Szenen: St. Joseph
Silberne Sterne
Es ist vormittags an einem winterlich kalten Tag. Die Zeit drängt, die Freundin ist todkrank, aber am St.-Josephs-Krankenhaus in Tempelhof ist weit und breit kein Parkplatz zu finden. Auf einem Gehweg klafft noch eine Lücke. Das Wort „Gehweg“ ist freilich übertrieben. Kein Fußgänger nutzt diese schlammige Fläche. Trotzdem berichten Besucher des Hospitals, dass die Damen und Herren des Ordnungsamtes hier gern Strafzettel verteilen.
So auch heute – allerdings sind es zwei gestandene Polizisten, die von Auto zu Auto schreiten. Die silbernen Sterne auf den Schulterklappen und die silbernen Mützenbänder weisen sie als Kommissare aus. Die flapsige Bemerkung nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus – „Na, haben Sie uns erwischt?“ – beantwortet einer von ihnen mit zornigem Knurren.
Auch im Klinikbesucher kocht stiller Zorn, und das nicht nur wegen des Knöllchens. Müssen leibhaftige Kommissare ausrücken, um Strafzettel zu verteilen? Manche Kommissare sind studierte Fachleute – haben die nichts Wichtigeres zu tun, als sich mit Parksündern zu beschäftigen? Würde man Chirurgen im Krankenhaus zum Telefondienst abordnen?
Auch anderswo sind Kommissare bei niederen Aufgaben zu beobachten. Als im September das neue Schuljahr begann, tauchte morgens ein Drei-Sterne-Offizier auf, um die Schülerlotsen vor der Nelson-Mandela-Schule anzuleiten. Wo sind die Berliner Schupos geblieben, die einst Kinder über die Straße brachten?
Eine Zeitungsnotiz aus vergangenen Zeiten verrät: Im Jahr 2010 wurden knapp 3.000 Wachtmeister pauschal zu Kommissaren befördert, weil sie sonst keine Chance gehabt hätten, einen Beförderungslehrgang für den gehobenen Dienst zu ergattern. Es ist nicht alles Silber, was da glänzt.
Andreas Lorenz
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